Donaueschinger Musiktage 2009 | Bericht

Bericht: Das mäandernde Orchester

Stand

16. bis 18. Oktober

Gleich drei Konzerte der diesjährigen Donaueschinger Musiktage werden vom SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg bestritten. Während im Abschlusskonzert am Sonntag mit einem gängigen "Nummernprogramm" die neuesten Kompositionen von Salvatore Sciarrino, Beat Furrer und Rolf Riehm aus der Taufe gehoben werden, beschreitet das Orchester in den beiden anderen Veranstaltungen neue Wege der Interaktion zwischen Autor, Interpret und Hörer.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Donaueschinger Musiktage steht das Orchester. Es präsentiert sich im Abschlusskonzert als "klassische" Konzertformation in der direkten Konfrontation von Podium und Publikum, mit den beiden groß angelegten Projekten der Komponisten Manos Tsangaris und Mathias Spahlinger als flexibles Instrument, mit dem das Verhältnis von Interpret und Zuhörer völlig neu gestaltet wird, bis hin zur Individualisierung der einzelnen Orchestermitglieder. Damit knüpft das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg an Diskussionen aus politisch bewegten Zeiten an, in denen die Institution an sich in Frage gestellt, in sozio-politischer Hinsicht hinterfragt und schließlich erneuert wurde.

In einem tiefgründigen Essay lässt Festivalleiter Armin Köhler die Entwicklung vom Damals zum Heute noch einmal Revue passieren und zeigt auf, was sich alles mittlerweile verändert hat. Das Orchester als klassisch erstarrter, konservativer Klangkörper: dieses Feindbild hat sich längst verabschiedet. Gerade edin mit neuer Musik so erfahrener Klangkörper wie das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg hat mit seinem jahrzehntelangen Mitwirken an einem der herausragenden Festivals der zeitgenössischen Musik an der historischen Veränderung mitgeschrieben. Es ist nicht nur der passive Partner mit dem Musikgeschichte geschrieben wird, es hat selbst an dieser aktiv mitgewirkt.

"Das Orchester als Institution steht spätestens seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts immer wieder aufs Neue im Mittelpunkt des diskursiven Interesses. Zu groß ist seither der Graben zwischen den neuen musikalischen Anforderungen der Avantgarde und der bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ausschließlich auf Tradition beharrenden Institution Orchester gewachsen. Die Ursachen hierfür sind in der erweiterten orchestralen Besetzung, den neuen instrumentaltechnischen Herausforderungen und darüber hinaus grundsätzlich im neuen musikalischen Denken sowie den Anforderungen des Musikmarktes zu suchen, dessen Einfluss auf die Institution Orchester sich in den vergangenen 60 Jahren nachhaltig verstärkt hat. Zahlreiche Vertreter der europäischen Avantgarde meinten in den 1950er Aufbruchsjahren gar – eingebettet in die Bestrebungen, Fäden in die Vergangenheit grundsätzlich abschneiden zu wollen –, das Orchester als "Überbleibsel bürgerlicher Musikkultur" ganz und gar abschaffen zu müssen.

Man muss sich einmal vorstellen, dass der Vertreter der Deutschen Orchestervereinigung, Hermann Voss, noch 1971 in einer Gesprächsrunde der Donaueschinger Musiktage die 'Institution Orchester' als lebendigen Organismus in Gefahr sah, weil viele Komponisten nicht mehr für das Orchester komponieren würden. Historische Gerechtigkeit gebietet daran zu erinnern, dass die ARD-Orchester ein Eldorado für die Avantgarde waren und – bei allem Schwund – teilweise noch sind. Europäische Musikgeschichte wäre ohne solch ein Orchester wie das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg und solch einem Klangkörper wie dem SWR Vokalensemble Stuttgart gewiss anders verlaufen. Immer sollte man sich auch bewusst machen, dass sich "Geschichte" nur durch permanentes Tun bildet – mit allen Häutungs- und Abreibungsprozessen. Ohne die Pioniertaten der Musiker von damals wären zahlreiche neue kompositorische Ideen ins Leere gelaufen.

Die Musiker des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg waren die ersten institutionell bestallten Musiker, die die vielen ungewöhnlichen Spielanweisungen und neuen Spielhaltungen realisierten und solch exeptionelle Werke uraufführten. Ganz besonders hervorzuheben sind die Entwürfe, die mittlerweile als 'Donaueschinger Raummusik' in die Geschichte eingegangen sind. Damit haben nun schon drei Generationen von Orchestermusikern gezeigt, dass auch tarifgebundene Orchester Maßstäbe auf dem Gebiet avancierter Orchestermusik zu setzen vermögen."

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Autor/in
SWR