In seinem jüngsten Drama „Die leisen und die großen Töne“ bewegt sich Emmanuel Courcol zwischen den Welten der klassischen Musik und der von Amateur-Blaskapellen. Der Film startet am 27. Dezember in den Kinos.
Ungleiche Chancen für zwei Brüder
Thibaut, der sich als Dirigent und Komponist einen Namen gemacht hat, erfährt erst in der Mitte seines Lebens, dass er noch einen Bruder hat. Die Geschwister wurden von ihrer Mutter nach der Geburt zur Adoption freigegeben und landeten bei unterschiedlichen Pflegeeltern.
Der Film „Die leisen und die großen Töne“ erzählt feinfühlig von ihren ungleichen Chancen aufgrund ihrer unterschiedlichen Sozialisation, aber auch von der Kraft der Musik, die sie trotz aller Konflikte zusammenschweißt. Und das auf hohem künstlerischen Niveau.
Trailer zu „Die leisen und die großen Töne“
Glaubwürde Verkörperung eines Dirigenten
Thibaults Pflegeeltern entdeckten und förderten sein musikalisches Talent, sodass aus ihm ein namhafter Dirigent und Komponist werden konnte. Benjamin Lavernhe verkörpert ihn glaubwürdig als einen charismatischen Künstler.
Seine Dirigierbewegungen und seine Art, mit einem Orchester zu proben, muten derart authentisch an, dass sich annehmen ließe, der Schauspieler habe das Dirigieren nicht erst für den Film erlernt. Sein überzeugendes Auftreten offenbart schon die erste Szene, in der er mit einem Orchester Beethovens Egmont-Ouvertüre probt.
Leukämie-Erkrankung führt Brüder zusammen
Kurz darauf erfährt der Protagonist von seiner Leukämie-Erkrankung. Das ist der Moment, an der sein Bruder Jimmy ins Spiel kommt, den Ärzte für ihn ausfindig gemacht haben.
Wenn auch zunächst widerwillig gewährt Jimmy die dringend benötigte Knochenmarkspende. Und wie sich herausstellt, ist auch er musikalisch begabt. Nur konnte er sein Talent aufgrund der einfachen Verhältnisse, in denen er groß wurde, nur bedingt entfalten – als Posaunist in einer Blaskapelle.
Berufsmusiker trifft auf Amateur
Damit prallen zwei Welten aufeinander, die in Wirklichkeit selten miteinander in Berührung kommen, sagt Regisseur Emmanuel Courcol:
„Die Berufsmusiker haben am Konservatorium studiert, in frühester Kindheit an Wettbewerben teilgenommen und sind so weit gekommen, weil sie starke Individualisten sind“, sagt Courcol.
„Sie streben an erster Stelle nach Exzellenz und Perfektion, weniger nach gemeinsamer Freude im Kollektiv, was nicht heißt, dass es im Orchester keine Freundschaften geben könnte. Bei Amateurorchestern hat dagegen das gemeinsame Musikerleben Vorrang, es ist eine soziale Notwendigkeit.“
Zwei getrennte Welten
Aber diese zwei Welten ignorieren sich. Amateurmusiker würden niemals in ein klassisches Konzert gehen, obwohl sie selber teilweise klassische Stücke spielen. Die Berufsmusiker interessieren sich nicht für die Laienmusik. Es sind zwei Welten, die nie aufeinander treffen.
Der Filmemacher bedauert diese Trennung zwischen Profis und Amateuren, Sinfonik und Volksmusik, kritisiert das oftmals damit verbundene Statusdenken.
Musikalischer Nachholbedarf
In seinem Film begegnen sich die Repräsentanten beider Welten in Gestalt der Brüder. Leicht hätte aus Jimmy mit seinem absoluten Gehör ein ebenso erfolgreicher Berufsmusiker werden können wie sein Bruder, wenn ihm eine entsprechende Ausbildung ermöglicht worden wäre.
Sichtlich leidet er darunter, es in der Musik nicht weiter gebracht zu haben, was ihm durch die Bekanntschaft mit Thibault erst vollends bewusst wird. Der ermuntert Jimmy, zur Vorbereitung auf einen Wettbewerb die Leitung der Blaskapelle zu übernehmen und bereitet ihn mit ein paar Lehrstunden darauf vor.
Geschickt vermittelt der Film über diese Lektionen en passant, dass die klassische Musik und der Jazz auf sehr ähnlichen harmonischen Grundlagen basieren.
Berührender und anspruchsvoller Film
Schon bald aber strebt Jimmy nach höheren Zielen: als Posaunist bewirbt er sich auf eine Orchesterstelle. Dass im Probespiel Thibault innerhalb der Jury zugegen ist, wirkt wie so manche Zufälligkeiten in dieser Geschichte dramaturgisch etwas konstruiert, aber das schmälert nicht die ansonsten sehr berührende Erzählung.
Regisseur Courcol, der selbst in jungen Jahren, fasziniert von Herbert von Karajan, in seinen vier Wänden zu Schallplatten dirigierte, hat sich für sein Drama einer sehr guten musikalischen Beratung versichert.
Der Film „Die leisen und die großen Töne“ ist mithin ein künstlerisch sehr anspruchsvoller Film, der mit seinem liebevollen Blick für die Amateurmusik für sich einnimmt und vor allem eines feiert: die Kraft der Musik.
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