Die Sängerin Anna Lucia Richter erinnert sich an einen Auftritt mit Bachs Weihnachtsoratorium in der Hamburger Elbphilharmonie. Man merkt bei diesem Blick hinter die Kulissen und ins Seelenleben der Künstlerin, dass nicht immer alles so heiter ist, wie es der Weihnachtsschein vermuten lässt.
Spätestens als in der Generalprobe beim ersten ordentlich gestützten Ton ein Knopf von meiner Hose abplatzte (und mir eine sehr liebe Chordame sofort ihr Nähzeug in die Hand drückte), hätte ich wissen müssen: Dieser Abend hat Potential.
Konzertbeginn: Dank meiner durch Adrenalin noch verstärkten Kurzsichtigkeit bewegen wir uns nun suchend wie die drei Heiligen Könige über die Bühne. Na gut, wir sind vier, aber einer mehr hat ja noch nie geschadet. Ich habe die Treppe verpasst und führe nun die drei heiligen... ich meine die drei Solisten-Kollegen.. hinter mir in Schlangenlinien über die Podeste.
Klassik-Klassiker zum Fest Das Weihnachtsoratorium neu entdecken: Was steckt hinter Bachs Festtags-Opus?
Bachs Weihnachtsoratorium gehört zum Fest wie Stollen und Tannenbaum. Im Gespräch mit Bach-Experte Reinhard Goebel blicken wir auf dieses Standardwerk der Weihnachtszeit.
Nach außen strahlend, innerlich brodelnd
Kaum sind wir an unseren Positionen angekommen, muss ich auch schon wieder weiterziehen: Am Ende der ersten Kantate abgehend, um den Engel stilecht von oben singen zu können, finde ich meine dortige Position von einer uneinsichtigen Zuhörerin besetzt. Sie hatte sich prompt dort auf den Boden gesetzt anstatt auf ihren wunderbaren, gut gepolsterten Sitzplatz.
Da ich direkt singen muss und also keine Zeit habe, sie freundlich hinwegzukomplimentieren, stelle ich mich hauteng hinter sie, beginne zu singen und pieke ihr meine spitzen Knie in den Rücken. Offenbar fällt ihr dadurch dann doch auf, dass das etwas merkwürdig ist und sie überdenkt ihre Platzwahl, findet jedoch nach wie vor ihren ihr zugedachten Sitzplatz unattraktiv.
Nein, sie setzt sich zwei Stufen tiefer, immer noch sehr nahe bei mir, mich begeistert anstrahlend. Als Engel kann man ja so schlecht böse gucken. Ich strahle also innerlich brodelnd zurück: „Fürchtet euch nicht, siehe ich verkünde euch große Freude.“
Anna Lucia Richter singt in Bachs Weihnachtsoratorium (Luzern, 2016)
Der Weihnachtsenthusiasmus steigert sich immer weiter
Aber zurück zur Geschichte: Offenbar bleibt es dem Echo-Sopran erspart, weitere begeisterte Zuhörer aus dem Weg boxen zu müssen. Wir schaffen es zudem sogar, unsere Jas und Neins richtig zu koordinieren… zu viele Echos antworteten schon versehentlich Ja auf mein Nein.
Letztlich steigert sich mein Weihnachtsenthusiasmus immer weiter bis ich mich, wie es sich gehört, beim Schlusschor mit der Solotrompete sehr disziplinieren muss, nicht herumzutanzen und zu johlen. Ich würde sagen: Alles in allem ein normales Weihnachtsoratorium.
Das Weihnachtsoratorium zum Fest
Weihnachtsoratorium (1-3) vom 25.12.2024
Johann Sebastian Bach:
Weihnachtsoratorium BWV 248, Teil 1-3
Monteverdi Choir
English Baroque Soloists
Leitung: Sir John Eliot Gardiner
(Aufnahme von 1987)
dazwischen:
Johann Sebastian Bach:
Trio super "Lobt Gott, ihr Christen allzugleich" BWV deest.
Gerhard Weinberger (Orgel)
Johann Sebastian Bach:
"Wie schön leuchtet der Morgenstern" BWV 739
Torsten Laux (Orgel)
Johann Sebastian Bach:
Fuge über das Magnificat BWV 733
Ton Koopman (Orgel)
Weihnachtsoratorium (4-6) vom 26.12.2024
Johann Sebastian Bach:
Weihnachtsoratorium BWV 248, Teil 4-6
Monteverdi Choir
English Baroque Soloists
Leitung: Sir John Eliot Gardiner
(Aufnahme von 2022)
dazwischen:
Johann Sebastian Bach:
"In dir ist Freude" BWV 615
Jörg Halubek (Orgel)
Johann Sebastian Bach:
"In dulci jubilo" BWV 729
Kay Johannsen (Orgel)
Johann Sebastian Bach:
Einige canonische Veränderungen über das Weihnachtslied "Vom Himmel hoch, da komm ich her" BWV 769a
Armin Schoof (Orgel)