Donaueschinger Musiktage 2012 | Protokoll

"Schweigen bei Herrn Currentzis"

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AUTOR/IN
Dietrich Brants

Wie der Dirigent des Eröffnungskonzerts ganz langsam kurzfristig absagte.

In Donaueschingen beginnen die Musiktage 2012 etwas anders als von langer Hand geplant - mit genau den Werken der Komponisten, die für das Eröffnungskonzert Neue Musik geschrieben haben. Aber mit einem anderen Dirigenten als geplant: Rubert Huber ist - sehr kurzfristig - eingesprungen. Was der Festival-Leiter, SWR-Musik-Redakteur Armin Köhler, in den letzten 708 Tagen vor Beginn des Festivals erlebt hat -  ein Protokoll einer Absage.

Tag 708: Knapp zwei Jahre vor Beginn des Festivals. Ein guter Tag. Der international renommierte Dirigent Teodor Currentzis sagt zu.

Tag 679: Ein fast noch besserer Tag. Das erste Treffen des Festival-Leiters Armin Köhler mit dem designierten Dirigenten des Eröffnungskonzerts.

Vier Wochen später: Die erste Überraschung. "Dirigenten agieren heute alle mit einem speziellen Management. Das Management hat den Vertrag erhalten und hat moniert, dass da Rundfunkrechte drin stehen – wie wohl der Vertrag selbstverständlich mit einer Rundfunkanstalt abgeschlossen wurde."

Tag 625: Die nächste Überraschung. Der Vertrag des Dirigenten mit dem SWR soll eine neue Klausel erhalten: Der Sender soll nicht senden dürfen, was Currentzis dirigiert – auch nicht live – OHNE dass der Dirigent zugestimmt hat.

"Rundfunkfreigabe nur nach Einsichtnahme des Dirigenten – wie wohl wir live aus Donaueschingen senden. So dass man da natürlich im Vorfeld gar nichts abhören könnte."

Tag 551: "Die gute Nachricht: Der Vertrag erreicht unterschrieben unser Büro."
Alles klar. Aber nur bis zum 08. Mai 2012.

Tag 164 vor Beginn des Festivals: Die nächste, dicke Überraschung.
"Die dritte Überraschung war, dass die Agentur uns darum bat, dem Dirigenten doch Aufnahmen der Stücke zuzusenden – wie wohl jeder wusste, dass es sich um Welt-Premieren handelt. Und noch gar keine Aufnahmen vorliegen können."

Tag 161: Festival-Leiter Armin Köhler schickt die erste Partitur für das Eröffnungs-Konzert der Donaueschinger Musiktage – das Stück des Komponisten Helmut Oehring – an den vertraglich verpflichteten Dirigenten. Es ist Mitte Mai. Post nach Perm, einer Stadt in Russland. Hinter dem Ural. Dort ist Teodor Currentzis Chef-Dirigent der Oper.
Noch 120 Tage bis zum Festival: Keine Reaktion.

Noch 115 Tage. Irgendwann kommt der 30. Juni 2012.

Noch 111 Tage. "Ja, 111 ist ein erneuter Versuch, mit Herrn Currentzis direkt in Kontakt zu treten. Per Email, per Handy. Aber überall Stille. Großes Schweigen."
Und so geht es weiter.

Tag 110: "Schweigen bei Herrn Currentzis."

Tag 109: "Weiterhin großes Schweigen bei Herrn Currentzis."

Tag 108: "Wieder so eine Überraschung. Rückfrage bei der Agentur: 'Sind die Partituren mittlerweile in Perm angekommen: Sind sie in den Händen von Herrn Currentzis? Bitte teilen Sie uns das mit'. Die Agentur ist nicht in der Lage, uns diese Antwort zu geben. Sie wusste nicht, ob Herr Currentzis die Partituren überhaupt je erhalten hat. Auch da: Weiterhin Schweigen bei Herrn Currentzis."

Tag 102:
"Die Agentur ist sich noch immer nicht sicher, ob die Partituren in Perm angekommen sind. Man bittet uns nun 'zur Sicherheit' die Partituren nochmal zu schicken. Diesmal allerdings nach Athen, den Zweitwohnsitz von Herrn Currentzis, wo er sich vermutlich im Sommer aufhalten soll."

Nur noch 100 Tage bis zum Eröffnungskonzert der Donaueschinger Musiktage 2012: "Schweigen bei Herrn Currentzis.

Noch 80 Tage: Langsam wird es absurd. "Am 30.07. wurde zum dritten Mal nachgefragt, wann wir denn endlich 'Recordings', also die Aufnahmen der uraufzuführenden Stücke schicken würde – Herr Currentzis könne ansonsten nicht beginnen zu arbeiten."

Noch 53 Tage: "Da noch immer keine Antwort bezüglich des Probenplans aus Perm kam (oder aus Athen, je nachdem), haben wir – sprich: das Orchester-Management und ich – uns hingesetzt und den Probenplan für das Orchester und die Solisten selbst erarbeitet, ihn Currentzis zugeschickt. Aber auch diesbezüglich nie eine Bestätigung erhalten." Und dabei bleibt es.

"Große Stille – Schweigen." Keine Reaktion des Dirigenten. Bis knapp drei Wochen vor Beginn des Festivals.

Tag 18: "Ich frage aus einer gewissen inneren Unruhe heraus direkt in der Agentur nach: 'Liebe Kollegen, ist alles in Ordnung? Arbeitet Herr Currentzis?' Und von dort kam: 'Wunderbar. Alles wird gut'. Allerdings keine Antwort zur Programmfolge. Immerhin wurde aber der Probenplan bestätigt."

Dann kommt Tag 16: Es ist Mittwoch, der 03. Oktober. Noch fünf Tage. Dann sollen die Proben fürs Eröffnungskonzert beginnen. Dirigent – laut Programmheft: Teodor Currentzis.

"Genau am Tag der Deutschen Einheit – ich war noch beim Zähneputzen – kam die Mitteilung, dass Herr Currentzis absagen muss. Er sei überlastet."

Weiterhin Tag 16:
Der Chefdirigent der Oper in Perm begründet seine Absage für das Eröffnungs-Konzert des weltweit wichtigsten Festivals für Neue Musik mit – 'zu viel Mozart'. "Außerdem habe er in letzter Zeit viel zu viel Mozart aufgenommen. So dass er uns seine Kraft nicht zu hundert Prozent zur Verfügung stellen könne."

Immer noch Tag der Deutschen Einheit: Armin Köhler muss einen Ersatz-Dirigenten finden. "Dann hat man einen Tag lang telefoniert." Dann ist der Dirigent Rupert Huber dran. Völlig überraschend.

"Rupert Huber ist ein Mensch, der immer abgeschieden lebt. Immer irgendwo in den Bergen. Ob nun in Nepal oder im Österreichischen. Er ist nie zu erreichen: weder per Email noch auf dem Handy. Und an diesem Nachmittag dachte ich: 'Jetzt nimmst du einfach mal seine Festnetznummer und probierst es'. Und da war er zuhause, er ging an den Hörer. Und ich fragte ein bisschen hintersinnig: 'Was machst du kommenden Montag?'" Das wusste Rupert Huber dann sehr schnell.

Noch 11 Tage bis zum Eröffnungskonzert der Donaueschinger Musiktage. Ein Montag, wie gesagt: "08. Oktober, 9 Uhr 15 beginnt die Probe. Der Dirigent war einzigartig, das Orchester nahm ihn liebevoll auf. Großer Dank."

Und eine Sache ist ab jetzt absolut egal: "Weiterhin Schweigen bei Herrn Currentzis."

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Dietrich Brants