Gedanken zum fünfzigjährigen Mäzenatentum des SWR bei den Donaueschinger Musiktagen.
Wie mag das wohl gewesen sein, 1950, als eine Abordnung der Gesellschaft der Musikfreunde Donaueschingen beim damaligen Musikchef des SWF, Heinrich Strobel, auf der Baden-Badener Funkhöhe auftauchte, um den Südwestfunk zu bewegen, dem finanziell angeschlagenen und sich konzeptionell in einer Krise befindenden Donaueschinger Kammermusikfest "zur Förderung der zeitgenössischen Tonkunst" unter die Arme zu greifen? Die Quellen sind spärlich. So viel wissen wir heute jedoch: es sollte eine für die europäische Musikgeschichte denkwürdige Begegnung werden.
Es war gewiss kein einfacher Schritt für Altgraf Salm, den Repräsentanten des Fürstenbergischen Fürstenhauses, und für den 1. Vorsitzenden der Gesellschaft, Max Rieple. Kamen sie doch nicht als Vertreter irgendeiner provinziellen Kleinkunstveranstaltung, sondern des namhaftesten Festivals für Neue Musik, das – 1921 erstmals veranstaltet – als Prototyp der Spezialfestivals gilt: Spezialfestivals, wie wir sie heute allenthalben kennen, für Alte Musik, Pop-Musik, Renaissancemusik, Elektronische Musik, Barockmusik, Neue Musik und wie sie alle heißen mögen. Der Schritt war jedoch wohl überlegt und zielte auf einen Partner mit den seinerzeit denkbar besten Voraussetzungen. Fand man doch im Südwestfunk den schon damals finanziell potentesten Konzertveranstalter nicht nur der Region, der noch dazu über ein eigenes Sinfonieorchester verfügte und ohnehin ein eigenes Festival plante – und in Heinrich Strobel einen der einflussreichsten Potentaten der Neuen Musik seinerzeit.
Die Donaueschinger stoßen beim Südwestfunk auf offene Ohren. Und so ist im Ergebnisprotokoll des Gesprächs nicht nur nachlesbar, dass man "mit größter Zuvorkommenheit aufgenommen wurde", sondern dass von "Generalintendant Bischoff das gesamte Orchester einschließlich aller Solisten und der Transportkosten für die Musiker und ihre Utensilien kostenlos zur Verfügung gestellt werden." Damit beginnt für die Donaueschinger Musiktage auf ihrem Weg zum produktiven Unruheherd des Musiklebens ein neuer Abschnitt. Die inhaltliche Planung und Leitung des Festivals geht in die Hände des SWF, heute: SWR, über und wird dort seither entweder vom Musikchef oder vom Redakteur für Neue Musik verantwortet, der SWR trägt bis heute die finanzielle Hauptlast, er schneidet die Konzerte mit, sendet sie und potenziert auf diese Weise deren Verbreitung – ein im Medienzeitalter nicht zu unterschätzender Wert an sich. Durch die Einbeziehung des Sinfonieorchesters kommt es zu einer inhaltlichen Akzentverschiebung von der Kammermusik auf die Orchestermusik, die das Festival bei allen inhaltlichen Erweiterungen auch heute noch prägt.
Nur kurzzeitig, in einem Moment der Unbedachtheit, als durch finanzielle Kürzungen eine Bienalisierung der Musiktage angestrebt wurde, im Jahre 1996, war sich die andere Seite, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, nicht bewusst, dass auch sie von dieser Symbiose profitiert(e). Nicht nur, dass durch die Donaueschinger Musiktage das jetzige SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg seine internationale Reputation als ausgewiesenes Ensemble für die Musik der Zeit aufbauen konnte, nein, das Festival wurde ganz schnell auch zum Aushängeschild des Senders weltweit, von Schweden bis Südafrika, von Japan bis Nordamerika. Es gibt kaum ein anderes Engagement des Südwestrundfunks, mit dem in dieser Kontinuität über das Sendegebiet hinaus im internationalen Maßstab kulturelle Kompetenz unter Beweis gestellt werden konnte. Hörer aus mehr als 30 Nationen verfolgen jährlich die Übertragungen von den Donaueschinger Musiktagen am Radio und im Internet. So mancher heute bedeutende internationale Künstler hat sich in seiner Jugend von eben diesen Übertragungen anregen lassen, den entscheidenden Schritt auf die Konzertpodien der Welt zu tun. Und wenn sich gerade dieser Tage ein kommerzieller New Yorker Internet-Anbieter nachdrücklich um die Rechte der Übertragung der Donaueschinger Musiktage im Internet bemüht, dann mag dies zwar irritierend für die Macher des non-kommerziellen Festivals sein, sollte aber für alle rundfunkpolitischen Entscheidungsträger ein Hinweis darauf sein, dass sich Kontinuität im kulturellen Bereich offenkundig im wahrsten Sinne des Wortes auch auszuzahlen vermag, wenn es denn sein muss.
Alles weitere ist im Grunde – bei allen Rückschlägen – eine Erfolgsgeschichte. In Donaueschingen wurde und wird Musikgeschichte geschrieben, mit der maßgeblichen Unterstützung, unter dem maßgeblichen Einfluss einer Rundfunkanstalt, die seither allein für dieses Festival 395 Kompositionen in Auftrag gegeben hat, die zu einem Großteil vom SWR-Sinfonieorchester uraufgeführt wurden: Werke von Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez, Olivier Messiaen, Luigi Nono, Krzysztof Penderecki, György Ligeti, Mauricio Kagel, Luciano Berio, Iannis Xenakis, Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm... um nur einige zu nennen.
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