Donaueschinger Musiktage 1998 | Vorwort

Zum Programm des Jahres 1998: concertare / concertatio

Stand
AUTOR/IN
Armin Köhler

Liebe Gäste,

die Auswertung der letztjährigen Besucherumfrage hat uns Veranstaltern wertvolle Anregungen vermittelt. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich rege beteiligt haben, und würde mich freuen, wenn sie die Musiktage auch weiterhin so kritisch und aufmerksam verfolgen. Mein Dank gilt auch dem Bonner Zentrum für Kulturforschung, insbesondere Herrn Andreas Johannes Wiesand und Susanne Keuchel, ohne deren sachkundige Betreuung und Erarbeitung sowie finanzielle Unterstützung das Projekt gar nicht möglich gewesen wäre.

Bitte machen Sie sich selbst ein Bild. Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Studie für mich persönlich ist die außergewöhnlich hohe Identifikationsrate der Besucher mit den Musiktagen, ja deren geradezu emotionale Bindung an das Festival. Sie, verehrte Gäste, betrachten es offenbar als ihre ureigenste Angelegenheit, die es zu hüten und zu schützen gilt. Deshalb wohl auch die besonders kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Beiträgen des Festivals Jahr für Jahr immer wieder neu, deshalb auch Ihr eindeutiges Votum für den jährlichen Turnus.

Einmal Donaueschingen, immer Donaueschingen? Zumindest verweist die Studie auf die Treue des Musiktagepublikums. Immerhin geben 64% bzw. 70% der Befragten an, das Festival bereits mehrfach besucht zu haben, mithin regelmäßig wiederkehrende Gäste zu sein. Im bundesweiten Vergleich überraschend ist dabei der relativ hohe Anteil junger Stammbesucher bis 35 Jahre von 26%, schließlich entscheidet sich diese Besuchergruppe laut anderer Untersuchungen ansonsten nur sehr kurzfristig und sporadisch zum Besuch eines Konzertes.

Mit dieser Studie empirisch belegt ist die Tatsache, daß die Donaueschinger Musiktage keineswegs - wie immer wieder perpetuierend behauptet - ausschließlich ein "Insider-Festival" sind, gedacht nur für Fachleute, ausschließlich Branchentreff der "Neuen-Musik-Szene". Nur 40% der Gäste geben an, daß sie aus beruflichen oder ausbildungsbedingten Gründen das Festival besuchen, der Rest sind musikinteressierte Laien.
Das Bonner Institut kommt zu dem Schluß, "daß das Festival eine Öffnung hin auch zu dem 'Nur-Musikinteressierten' erfahren hat bzw. jeweils wieder neu erfahren kann. Das ist erfreulich und sollte verstärkt als Chance genutzt werden, da der Neuen Musik immer wieder vorgeworfen wird, sie habe den Anschluß an das Publikum verloren und sei nur noch ein theoretisches Konstrukt für die Kritiker."

Gewiß, der Anteil an professionell orientierten Gästen ist im Vergleich mit anderen Konzerten oder Festivals relativ hoch. Bei der Bewertung dieser Zahlen sollten jedoch das vornehmliche Ziel und die Funktion des Festivals mit herangezogen werden: Die Donaueschinger Musiktage sind bei aller Öffnung auch zukünftig ein Arbeitsfestival. Nicht nur, weil es das Besondere und Einmalige der Donaueschinger Musiktage im Ensemble der mittlerweile zahlreichen und
miteinander konkurrierenden Festivals für Gegenwartsmusik ist, sondern vielmehr, weil wir solch ein Podium des Experimentierens, Ausprobierens, Verwerfens und Aufgreifens, der direkten und konzentrierten klanglichen Auseinandersetzung mit dem musikalischen Material brauchen. So, wie es auch in anderen Disziplinen, in der Medizin, Computertechnik, Philosophie, Bildenden Kunst usw. usf., analoge Formen und Foren des Disputs gibt. Es besteht also gar kein Anlaß, diese "dunkle" Seite (wie sie von so manchem Kritiker des Festivals bezeichnet wird) der Donaueschinger Musiktage schamvoll zu verstecken.

Entgegen der von einigen Kritikern immer wieder pauschal vorgebrachten Meinung, Donaueschingen habe seine Funktion und Bedeutung als "Trendsetter" verloren, sei darauf verwiesen, daß insgesamt immerhin 75% der Befragten das Festival als "zeitgemäß" (39%) bzw. "innovativ" (36%) bewerten. Lediglich für 3% gilt es als "nicht mehr zeitgemäß", für 6% als "zu abgehoben" und für 12% "hat es "leider im Vergleich zu früher an Spannung verloren".

Laut dieser Umfrage kommen immerhin 28% der Gäste nur nach Donaueschingen, um schlicht und einfach "Spaß zu haben". Das ist bei der eben benannten Zielsetzung eine überraschend hohe Zahl. Insbesondere jüngere Besucher betonen den Spaß mit dem Festival. Vor dem eben genannten Hintergrund darf dabei sicherlich bezweifelt werden, daß dies ein typisches Zeichen unserer "Fun-Gesellschaft" ist. Offenbar steht diese saloppe Formulierung eher für einen Paradigmenwechsel im Sprachgebrauch denn für ein oberflächliches Streben nach Unterhaltung und Genuß. Auffallend - für mich jedoch nicht überraschend - ist, daß die Komponisten dem Festival am wenigsten Spaß abgewinnen (9%). Hinter dieser Ausssage verbergen sich offenbar die typischen "spaßminimierenden" Faktoren wie außerordentlich hoher Erwartungs- und Erfolgsdruck bei jenen Autoren, deren Werke aufgeführt werden, und vorgeblicher Ausgrenzungs-Frust bei jenen, deren Stücke nicht Teil des Programmes sind.

Gibt es hormonelle Präverenzen oder gar Auswirkungen bei der Rezeption neuer Musik? Dies konnte die Studie (noch) nicht belegen, wohl aber eine deutliche männliche Dominanz (33% weiblich, 66% männlich). Im bundesweiten Vergleich der E-Musik-Konzertbesucher ist dieses Verhältnis im übrigen genau umgekehrt.

Nach wie vor sind die Donaueschinger Musiktage ein Festival einer Rundfunkanstalt. Deshalb interessiert uns Rundfunkmacher auch, wie die einzelnen Konzerte über dieses Medium wahrgenommen werden. Etwa ein Drittel der Besucher gab an, die Rundfunkübertragungen von den Musiktagen häufig zu hören. Immerhin noch 48% hören sie gelegentlich und nur etwa 20% vermerkten, noch nie Konzert vom Festival im Radio gehört zu haben. Während jüngere Besucher weniger an Rundfunkübertragungen interessiert sind, zeigen vornehmlich die 50 - 64jährigen starkes Interesse an den Rundfunksendungen, was wiederum dem allgemeinen Nutzungstrend von Kulturprogrammen im Radio entspricht.

Insgesamt sind dies deutliche Zeichen für die Akzeptanz der Produktionen des ehemaligen Südwestfunks Baden-Baden, die durch die Übernahme der Mitschnitte der Donaueschinger Konzerte von durchschnittlich weltweit mehr als 30 Rundfunksendern zusätzlich unterstrichen wird. Auch dies sind für mich Zeichen für die Notwendigkeit des Engagements einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt für solch ein Festival.

Ihre kritischen Anmerkungen und Wünsche haben wir sehr genau geprüft und die ersten Anregungen bereits in diesem Jahr umgesetzt, wie beispielsweise das Angebot preisreduzierter Eintrittskarten für Schüler und Studenten.

Bleibt mir nur noch, Ihnen auch in diesem Jahr einen ereignisreichen und vor allen Dingen anregenden Festivaljahrgang zu wünschen, der ganz im Zeichen von "concertare/concertatio" steht.

Ihr
Armin Köhler

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Armin Köhler