Album-Tipp

Wunderschöne Wiedergutmachung: Roman Borisov überzeugt mit „Chiaroscuro“

Stand
Autor/in
Eleonore Büning
Eleonore Büning
Onlinefassung
Dominic Konrad
Künstler/in
Roman Borisov

Vor zwei Jahren hat der russische Pianist Roman Borisov als jüngster Teilnehmer den ersten Preis beim Klavierolymp in Bad Kissingen gewonnen. Jetzt bringt er sein erstes Soloalbum heraus. Gewidmet ist es drei virtuosen Werken aus dem zwanzigsten Jahrhundert, im Mittelpunkt stehen die sogenannten „Corelli“-Variationen von Sergej Rachmaninow. Ein Debüt, das aufhorchen lässt.

Ein junger Pianist stellt sich vor. Sein Name: Roman Borisov. Morgen kommt sein erstes Soloalbum heraus. Er hat es: „Chiaroscuro“ genannt, zu deutsch: hell-dunkel.

Variations on a Theme of Corelli, Op. 42: Var. IV. Andante

So wird die berühmte barocke Maltechnik von Caravaggio oder Rembrandt genannt. Sie baut auf harte Kontraste, doch das hat mit dieser Musik hier gar nichts zu tun. Da gibt’s kein Dunkel, nur „chiaro“ (Licht).

Variations on a Theme of Corelli, Op. 42: Var. I. Poco più mosso

Diese Melodie ist sehr berühmt, Sie heißt „Folia d’Espagne“ (Wahnsinn aus Spanien), kommt aber aus Portugal. Wer sie erfand, ist unbekannt. Dutzende von Komponisten haben sich schon damit befasst: Vivaldi, Scarlatti, Corelli, Salieri, Chopin, Schubert, Liszt ... Einer der letzten, der „Folia“-Variationen schrieb, war Sergej Rachmaninow.

Bitteres, Böses, Stürmisches, Süßes, Braves, Lyrisches und Tastenlöwiges

Es gibt kaum ein anderes Werk, das gerade von jungen Pianisten so geliebt und so gefürchtet wird, wie diese späten Rachmaninow-Variationen. In allen Klavierwettbewerben werden sie, meist im Semifinale, rauf und runtergespielt.

Sauschwer, aber ungeheuer dankbar.  Zwanzig geniale Minifetzen, alles dabei: Bitteres, Böses, Stürmisches, Süßes, Braves, Lyrisches und Tastenlöwiges. 

Variations on a Theme of Corelli, Op. 42: Var. VII. Vivace

Roman Barisov spielt diese „Folia“-Variation von Rachmaninow mit zärtlicher Eleganz und hoch gewölbten Fingern. Was einen klangvollen Anschlag gewährleistet, auch bei einem der schnellsten Brocken in engster Lage.

Er weiß, worauf es ankommt, nicht nur spieltechnisch. Er gestaltet jede der zwanzig Variationen stilsicher, je nach ihrem spezifischen Charakter. Die langsamen mit Besonnenheit, die schnellen mit Chuzpe und Witz. Rachmaninows Variationen op.42 sind das Herzstück dieses Albums. 

Wiedergutmachung für eine Jugendsünde?

Tatsächlich ist das eine Art Wiedergutmachung. Es gibt nämlich noch eine Aufnahme davon, früher entstanden, nicht ganz so gelungen. Einen Livemitschnitt von 2021, als er erstmals eingeladen wurde vom Klavierfestival Ruhr.

Damals war noch Coronazeit und Roman Borisov war neunzehn. Er kam aus Nowisibirsk, hatte schon etliche russische Wettbewerbe gewonnen. Aber er war noch nicht halb so souverän wie jetzt und heute. Sonst hätte er sich wohl gegen eine Veröffentlichung gewehrt.

Das „Klavierspielen“, sagte Roman Borisov später einmal im Interview,  sei „seine erste Muttersprache“ gewesen. Als russisches Wunderkind-Gewächs wurde er hervorragend spieltechnisch ausgebildet. Damit, und mit seiner frühreifen musikalischen Intelligenz, erregte er im Westen alsbald Aufsehen.

Wunderschön und höchst empfehlenswert

Sechs Wochen vor dem Auftritt im Ruhrpott spielte er ein Recital mit Bach und Brahms in Gstaad, woraufhin der Korrespondent des „Bach-Track“-Magazins erklärte, dieser junge Künstler sei „für Großes bestimmt“.

Variations on a Theme of Corelli, Op. 42: Coda. Andante

Inzwischen hat Borisov den Klavierolymp in Bad Kissingen gewonnen, er betreibt eine eigne Website, hat eine Agentur und aktuell viele Termine. Kurzum: Roman Borisov ist, obwohl noch Student, das, was man einen „Rising Star“ nennt.

Auf seinem ersten Album stellt er Rachmaninows sogenannte „Corelli“-Variationen in den Kontext mit anderen historisierenden Bearbeitungen von Leopold Godowsky und César Franck. Das passt perfekt.

Das einzige, was nicht so gut passt, ist das hochtrabende Etikett. Warum heißt dieses wunderschöne, höchst empfehlenswerte Album „Chiaroscuro“? Vielleicht, weil jedes Kind einen Namen braucht? Aus Marketinggründen? Von mir aus nicht nötig.

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Eleonore Büning
Eleonore Büning
Onlinefassung
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Künstler/in
Roman Borisov