„Große Jubiläumsjahre werfen lange Schatten voraus“, hat sich der Pianist Ammiel Bushakevitz gedacht und bereitet mit Blick auf das Schubertjahr 2028 gleich zwei getrennte Editionen vor: fünf Lieder-CDs zusammen mit dem Bariton Samuel Hasselhorn und alles für Klavier solo. Die zweite Aufnahme der Solowerke nennt sich „Fantasien“ – und überrascht, schon mit der Auswahl der Stücke.
Das ist so gar nicht der nette „Schwammerl“, von dem im Blick auf Franz Schubert früher gern die Rede war. Der kleine Dicke, der im Beisl oder bei geselligen Abenden so schön Klavier spielte, den anderen zur Unterhaltung oder zum Tanz.
Jedenfalls hätte er nicht so gespielt: eher spitzfingrig, fast trotzig, ja verzweifelt, wie ein Getriebener, gefangen in einem Menuett, das klingt wie ein Marsch. So interpretiert der israelisch-südafrikanische Pianist Ammiel Bushakevitz mit dem Menuett aus Schuberts großer später G-Dur Sonate.
Es ist das Interessante an diesem neuen Album: Bushakevitz liest, spielt und hört Schubert weniger von Beethoven als von Mozart her, weniger romantisch also als streng klassisch. Das verstört zunächst, der durchschnittliche Schubert-Sound ist im Anschlag doch sanglicher, verbindlicher. Dann aber horcht man auf.
Musikstunde Franz Schubert entdecken (1-5)
Auch heute noch ist Schubert zu entdecken. Wer kennt die frühen Schiller-Vertonungen, die italienischen Stücke oder seine Werke des Musiktheaters. Die Musikstunde ist dem unbekannteren Schubert auf der Spur.
Farben und Nuancen, aber nie penetrant
Das Allegretto des 4. Satzes gestaltet der Pianist aus flüchtigen, fast Mendelssohn-artig irrlichternden Sonatenschluss aus. Bushakevitz lässt ihn abheben, fliegen, ins Jenseitige entschweben. Das war das Allegretto aus Schuberts G-Dur Sonate D 894 – und die findet sich auf dem neuen Album des 38-Jährigen, das er „Fantasies“ nennt, Fantasien.
Klar, eine Sonate ist keine Fantasie, aber der Begriff ist für den Pianisten eben nicht nur eine Gattungsbezeichnung, wie er im Booklet schreibt, sondern vor allem eine Frage des musikalischen Charakters. Als wollte sich der späte Schubert von den Fesseln der Form und des Sonatensatzes befreien.
Und so spielt Bushakevitz das auch, mit viel innerer Freiheit, mit Farben und Nuancen, aber nie penetrant.
Ammiel Bushakevitz spielt Schuberts Impromptu Nr. 3 in Ges-Dur op. 90
Bushakevitz kultiviert leichten Schubert-Ton
Die „Wanderer-Fantasie“ darf auf diesem Album natürlich nicht fehlen – und auch diesen Anfang hat man schon vollgriffiger, basslastiger, dröhnender gehört.
Bushakevitz‘ hat einen eher leichten Schubert-Ton; einen, der sich klanglich an den Instrumenten der Schubert-Zeit orientiert. Das Schubert'sche Wandern ist bei ihm kein gemessenes Schreiten, sondern eher ein Stürmen, Fliehen und Hakenschlagen – ein Nichtwissen, wohin in dieser Welt.
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Vorbereitung fürs Schubertjahr 2028
Die „Fantasien“ bilden die zweite Folge eines groß angelegten Schubert-Projekts. Bis 2028 will Ammiel Bushakevitz beim Label Hänssler den ganzen Schubert für Klavier solo einspielen, denn dann feiert die Musikwelt den 200. Todestag des Komponisten. Ein Großprojekt – und eine große Liebeserklärung.
Dieser Schubert, und das gefällt mir enorm, kommt nicht bedeutungsschwanger daher oder schicksalsbeladen. Er steht nicht per se im Schatten des frühen Todes. Im Gegenteil: es sind die lichteren, ja hoffnungsfrohen Momente, die Bushakevitz auskostet. Vielleicht hört man hier einfach, dass er auch ein famoser Liedpianist ist.
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