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Yannick Haan – Enterbt uns doch endlich! Wie das Erben meine Generation zerreißt

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Autor/in
Peter B. Schumann

Deutschland ist eines der ungleichsten Länder in Europa. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Das hängt u.a. mit der höchst ungerechten Verteilung von Vermögen und mit dem System des Erbens zusammen.

Das System des Erbens ist uralt. Selbst Goethes Faust forderte Ende des 18. Jahrhunderts: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Inzwischen ist daraus ein weltweites Problem geworden, das Gesellschaften immer weiter spaltet, auch die unsere. Jährlich werden in Deutschland rund 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt – so schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Das ist eine ungeheure Summe, die dem Bundeshaushalt nahekommt, der im letzten Jahr knapp 500 Milliarden Euro betrug. Und für die kaum Steuern bezahlt werden. Denn die jährlich entrichtete Erbschaftssteuer beträgt gerade einmal ein halbes Prozent des gesamten Steueraufkommens – laut einer OECD-Studie, denn es gibt sehr viele Möglichkeiten, sie ganz legal zu vermeiden.

Diese Form des Erbens zementiert die Vermögensungleichheit und schafft „ein System, in dem Armut verwaltet und Überreichtum staatlich gefördert wird“ – so heißt es in einem Buch, in dem schlicht verlangt wird: „Enterbt uns doch endlich!“

Autor ist Yannick Haan, 36 Jahre alt, Publizist und Politiker, Vorsitzender der SPD in Berlin-Mitte und Mitglied der medien- und netzpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand. Ein engagierter und einflussreicher Mann – und ein Erbe. Als seine Mutter vor ein paar Jahren starb, hinterließ sie ihm ein kleines Vermögen, von dem er sich zwei Eigentumswohnungen kaufen konnte: in der einen wohnt er, von der anderen lebt er zum Teil, denn er hat sie vermietet. Das findet er „unfair“, denn er hat dafür nichts getan und muss noch nicht einmal Steuern bezahlen, weil die Freibeträge sehr hoch sind.

„Die Mehrheit in der Gesellschaft erbt nichts oder nur sehr wenig“, so schreibt er. „Dagegen profitiert vor allem das reichste Prozent der Bevölkerung von immer größeren Erbschaften. Andere Bevölkerungsgruppen dagegen werden durch das Erben an den Rand der Gesellschaft gedrängt.“ Die Kluft zwischen Arm und Reich wird dadurch immer tiefer.

Deshalb hat sich eine Gruppe von Vermögenden in der Initiative taxmenow zusammengefunden und verlangt eine angemessene, gerechte Besteuerung von Erbschaften. Yannick Haan ist darin aktiv, nur leider erfährt man in seinem Buch davon nichts, in dem er die alten und neuen Eliten der Reichen weidlich auseinandernimmt, nur eben diese an sich naheliegende Alternative nicht zu Wort kommen lässt.

Vielleicht ist sie ihm zu angepasst, denn er fordert eine radikale Reform der Erbschaftssteuer. Sie muss in eine „progressive Steuer“ verwandelt werden, die auch Betriebsvermögen nicht länger verschont. Mit den zusätzlichen Einnahmen soll der Staat ein Grunderbe finanzieren, d.h. jeder Mensch soll mit dem 18. Lebensjahr eine Summe von 20.000 € erhalten. Yannick sieht darin „eine direkte Investition in junge Menschen sowie eine Umverteilung von Vermögen in die gesamte Bevölkerung“ und auch von den Alten (den Erben) zu den Jungen, also „einen wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit“. Schließlich fordert er sogar die Beschränkung „sehr hoher Erbschaften“: ab 500 Millionen € soll eine 100%ige Steuer greifen.

Das ist natürlich utopisch und entspricht seinem Postulat „Enterbt uns doch endlich!“ Als Buchtitel klingt es natürlich griffiger als die Forderung „Besteuert uns doch endlich!“, um die es Yannick Haan eigentlich geht in diesem schmalen Band von 185 Seiten und ausführlichen Anmerkungen zu den verwendeten Zahlen.

Es ist eine Denkschrift, die er vorgelegt hat, keine ausgefeilte wissenschaftliche Studie. Er will uns anregen, über den Zustand unserer Gesellschaft und einen der wesentlichen Gründe der ständig wachsenden Ungleichheit, der sozialen Ungerechtigkeit, der Armut in den Straßen zu reflektieren.

Gesellschaft Gerechter erben – Wie die Besteuerung fairer werden kann

In Deutschland werden Erbschaften effektiv mit drei Prozent besteuert, Arbeit mit 30 Prozent. Das ist ungerecht, weil für eine Erbschaft niemand arbeiten muss und viele niemals etwas erben.

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Peter B. Schumann