Rezension

Wütend auf den Kapitalismus: Neues Buch des US-Senators Bernie Sanders

Stand
Autor/in
Lukas Hermsmeier

Er ist sowas wie der Posterboy der amerikanischen Linken: Der 82-jährige US-Senator Bernie Sanders. In seinem neuen Buch „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“ betreibt er das, was man von ihm gewohnt ist: Kapitalismuskritik, und zwar konstruktive. Wenig überzeugend ist seine Glorifizierung der europäischen Politik. Interessant ist dagegen die Kritik an seiner eigenen Partei, den Demokraten.

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Ein vorsichtiger, fast harmloser Titel

„Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“ – So heißt das neue Buch von Bernie Sanders, dem bekanntesten linken Politiker der USA. Dieser vorsichtige, ja fast harmlose Titel irritiert zunächst ein wenig. Ging es bei Sanders’ zwei Wahlkämpfen in den Jahren 2016 und 2020 nicht darum, dass man wütend sein muss, und das Wut auch nicht reicht, sondern dass es kollektive Organisierung braucht, um einen demokratischen Sozialismus zu erreichen?

Doch ein Befehlshaber, das ist der 82-jährige Senator aus Vermont eben nicht. Vielmehr jemand, der den Leuten helfen will, ihre eigene Handlungsfähigkeit zu erkennen. 

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Bernie Sanders wird regelmäßig zum Meme. Warum fahren junge Menschen auf den 82-jährigen Sozialisten ab? Neben seinen politischen Positionen zieht vor allem sein integres Image.

Wenn ich eins aus der Geschichte gelernt habe, dann, dass echter Wandel nie von oben nach unten vor sich geht. Er kommt immer von unten. 

Gegenwartsanalyse und Zukunftsskizze

Die 432 Seiten sind eine Mischung aus Gegenwartsanalyse, persönlicher Reflektion und Zukunftsskizze. Sanders zeigt, wie in den USA massenhaft gesellschaftliches Unglück produziert wird. Zum Beispiel im Gesundheitssystem oder auf dem Arbeitsmarkt.

Rund 60.000 Amerikaner*innen sterben jährlich, weil sie nicht rechtzeitig eine ärztliche Behandlung bekommen. Eine halbe Million Menschen sind obdachlos. 40 Millionen leben unter der Armutsgrenze. 

Für ihn ist die Ursache dieser Zustände klar: „Das amerikanische Wirtschaftssystem mit der maßlosen Gier von Konzernen und seiner Eigentums- und Machtkonzentration zerstört alles, was sich der Profitmaximierung in den Weg stellt“, heißt es im Buch.

Kritik an kapitalistischer Machtkonzentration

Sanders nennt Namen: Jeff Bezos zum Beispiel, den Amazon-Gründer, der zum Multimilliardär werden konnte, weil er seine Beschäftigten ausbeutet. Oder die Vermögensverwalter Black Rock, Vanguard und State Street, die mit ihren Investitionen in Billionenhöhe nahezu jede Industrie dominieren.

Aber es geht Sanders nicht um das Herausstellen individueller Bösewichte, sondern darum, klarzumachen, dass der Kapitalismus in vieler Hinsicht genauso funktioniert wie geplant – und auch gar nicht anders kann. Marx nannte es den „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“. 

Ungewöhnliche Perspektive eines Politikers

Sanders’ Buch lebt von der ungewöhnlichen Perspektive eines Politikers, der sich seit 50 Jahren auflehnt und gleichzeitig Teil der Prozesse ist. So beschreibt er, wie herausfordernd es war, als er in den demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen 2020 erst gegen Joe Biden antrat und ihn dann später in den Hauptwahlen unterstützte, um Donald Trumps protofaschistische Regierung zu stoppen.

Glaubwürdig ist Sanders gerade deshalb, weil er nicht nur die rechtsradikalisierten Republikaner angreift, sondern weil er erklärt, welchen Anteil die Demokratische Partei an den verheerenden Zuständen hat. 

„Weil sich die Demokraten von den Arbeiterfamilien dieses Landes abgewendet haben, haben sich im Gegenzug Millionen von Wähler*innen aus der Arbeiterschicht von den Demokraten verabschiedet“, sagt er.

Sanders offeriert glaubwürdige Alternativen

Die Politik hinkt der Bevölkerung hinterher – das macht Sanders immer wieder klar. Die von ihm geforderten Reformen, zum Beispiel eine staatliche Krankenkasse, eine Jobgarantie, eine Reichensteuer und kostenlose Bildung, werden laut Umfragen längst von der Mehrheit unterstützt. Individuelle Freiheit sei ohne finanzielle Absicherung nicht möglich, so Sanders. 

Schwächer ist seine Analyse hingegen dort, wo er die europäische Politik glorifiziert. Man liest, dass „Länder wie Deutschland [..] eine sorgfältig geplante Strukturpolitik [verfolgen], die es ihnen ermöglicht, sich auf die Zukunft vorzubereiten“. Naja, Bernie, nicht ganz.  

Deutlich wird in diesem Buch trotzdem, was für ein ungewöhnlich guter Kommunikator Sanders ist. Er ist klar in der Sprache, bringt die Dinge auf den Punkt, offeriert glaubwürdige Alternativen. Ewig lang wird er diese Rolle altersbedingt jedoch nicht mehr einnehmen können. Deutlich wird also auch, dass die amerikanische Linke bald neue Führungsfiguren braucht. 

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Der US-amerikanische Intellektuelle Ezra Klein über die tiefe Polarisierung der US-Politik.
Rezension von Konstantin Sakkas.

Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Harlaß
Verlag Hoffmann & Campe 2020, 384 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-455-01013-8

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