Buchkritik

Rachel Cusk – Parade

Stand
Autor/in
Jutta Duhm-Heitzmann

„Parade“ – der zwölfte Roman der britischen Schriftstellerin Rachel Cusk und wieder eine Variante ihres wichtigsten Themas: Frauen, die ihr Künstlertum ausleben wollen und von allen Seiten daran gehindert werden, durch Männer, Kinder, Geld – und sich selbst. Ein Beitrag zur Emanzipationsdebatte aus weiblicher Sicht, beschrieben von einer brillanten Beobachterin.

Schon der Anfang ist typisch Rachel Cusk: präzise, kühl und treffend genau.

Ab einem gewissen Punkt in seiner Laufbahn begann der Künstler G – vielleicht weil er keine andere Möglichkeit sah, sich zeitlich und räumlich in der Geschichte zu orientieren -, auf dem Kopf zu malen.

Wo findet die künstlerische Frau ihren Platz?

Die Kunstwelt reagiert begeistert: Die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt - was für ein genialer Einfall! Eine Betrachterin aber steht wie erstarrt:

Als Gs Frau die umgedrehten Bilder zum ersten Mal sah, fühlte sie sich, als hätte jemand sie geschlagen. Das Gefühl, dass alles richtig erschien und doch grundlegend falsch war, erkannte sie auf Anhieb wieder. Dies war ihre Befindlichkeit, die Befindlichkeit ihres Geschlechts.

Damit ist auch schon das Thema auf dem Tisch, das fast das ganze Werk von Rachel Cusk beherrscht: Wo findet die Frau, vor allem die künstlerische Frau ihren Platz? Wie kann sie ihre Talente erkennen und umsetzen? Und wie schützt sie sich vor den Anforderungen des Alltags, der Familie, der Liebe, die sie von ihrem Weg abbringen? Das fragt sich auch Gs Frau, findet dann aber einen Ausweg, mit dem sie einigermaßen leben kann:

Seine Erfolge - seine Leistungen – waren auch ihre, besser gesagt hatte sie ihm ihr Leben und ihre Kraft gewidmet und auf die Möglichkeit verzichtet, es selbst zu etwas zu bringen. Deshalb beanspruchte sie nun einen Teil seiner Macht für sich.

Themenwechsel: es geht um Mutterschaft

Doch kaum hat man sich als Leser auf dieses Malerpaar und seine Probleme eingelassen – da bricht die Geschichte auch schon ab. Übergangslos übernimmt eine andere Frau den Erzählfaden, die einfach nur als „Ich“ auftritt, vielleicht sogar die Autorin selbst ist. Sie berichtet von einer Künstlerin, die auch G heißt und ziemlich jung im Kindsbett gestorben ist. Plötzlich geht es also um Mutterschaft und ob sie die schöpferische Arbeit von Frauen behindert oder sogar zerstört. Auch die Erzählerin fühlt sich davon bedroht.

Manchmal scheinen in dieser Stadt alle Kinder zu weinen. Sie werden in Buggys durch die Straßen geschoben und heulen wie Sirenen.

stellt sie genervt fest.

Während die Kinder schreien, erscheint mir meine eigene Geschichte der Mutterschaft wie ein hoch flussaufwärts gelegener Ort, von dem ich weit abgedriftet bin. (…) Das Geschrei der Kinder weckt meine Ungeduld und so etwas wie Angst, als verkörperten sie eine universelle Einsatztruppe, aus der ich niemals entlassen werde.

Später wird dieser Gedanke aus der Sicht einer Tochter aufgegriffen.

Denkt denn nicht jeder, seine Mutter hätte eine Künstlerin sein können? Vielleicht glauben wir das, weil wir uns schuldig gemacht und das Leben unserer Mutter ruiniert haben.

Rachel Cusk ist nicht ohne Grund eine hochgelobte Schriftstellerin - wenn auch in Deutschland weniger bekannt als im englischsprachigen Raum. Schon zu Beginn ihrer literarischen Karriere 1993 wurde sie als eine der besten jungen britischen Autorinnen gefeiert und dann auch mit Preisen überhäuft. In nahezu allen ihren Büchern umkreist sie Themen wie Mutterschaft und weibliches Künstlertum. Fast zornig verteidigt sie das Recht der Frau, eine eigene Sicht auf die Welt zu haben und die auch kreativ umzusetzen.

2022 sagte sie in einem Interview:

„Muss eine weibliche Stimme denn ungelebt und unentdeckt bleiben? Besteht ihr Wert darin, überhaupt nicht oder nur stumm zu existieren? Nicht frei zu sein, keine Dinge zu besitzen und nicht das Wissen, das daraus entsteht? Oder ist sie in Wirklichkeit eine eigenständige Existenz und ein als eigenständig erkennbares geistiges Wesen?“

Ein Plädoyer für weibliche Eigenständigkeit

Auch Rachel Cusks neues Werk „Parade“ ist ein Plädoyer für die Eigenständigkeit der Frau und für den Respekt vor ihrer künstlerischen Kraft. Denn trotz aller Gleichberechtigung gibt es immer noch die vertrauten Rollenverteilungen, die Machtkämpfe zwischen den Geschlechtern. Manchmal brutal direkt, manchmal nur wie ein feines Gespinst, eine Art Spinnennetz - Gelegenheit für schön fiese Bemerkungen:

Einem Mann ihre Alpträume aufzubürden, war womöglich ihr Abschiedsgeschenk an das männliche Geschlecht. Vielleicht lässt mich dieser Gedanke heute Nacht besser schlafen.

Leider hat Rachel Cusk ihrem Roman eine ziemlich komplizierte Form verpasst. Er zerfällt in oft unverbundene Einzelteile. Männliche und weibliche Künstler tauchen auf und verschwinden wieder und alle heißen sie G. Oft rätselt man, an welchem Ort und in welcher Zeit man sich denn jetzt befindet. Doch immer wenn man kurz davor ist, das Buch beiseite zu legen, genervt von dem ewigen Hin und Her und dem vielen Theoretisieren, fegen wun­derbar dichte und klare Passagen allen Frust weg.

Nach der Parade bedeckte eine flockige Schicht aus Müll und Glasscherben die Straße (…) An manchen Stellen lag er fast einen halben Meter hoch, größtenteils leere Flaschen und Verpackungen. Wie Tiere, die in freier Wildbahn einen abgenagten Kadaver zurück­lassen, hatte die Leute gegessen, getrunken und die Behältnisse einfach zu Boden geworfen. In den Schaufensterscheiben spiegelte sich der rosa Himmel.

Solche sprechenden Bilder sind eine der großen Stärken von Rachel Cusk. Sie ist eine erbarmungslos genaue Beobachterin von Menschen, von kleinen, erhellenden Szenen, in denen sie viel mehr erkennt, als an der Oberfläche erscheint.

Besonders genau aber beobachtet sie sich selbst, klug und fast übersensibel. Es lohnt sich also, sie näher kennenzulernen, mit ihren Gedanken und ihrer Dünnhäutigkeit – doch „Parade“ ist dafür leider kein guter Einstieg: zu theoretisch, zu kopflastig, zu kompliziert. Deshalb lieber „Arlington Park“ oder „Der andere Ort“. Oder die vielgelobte „Outline“-Trilogie. Alle aber mit punktgenauen Erkenntnissen wie diese:

Gottseidank sind wir nicht verheiratet, sagte sie, denn so kann ich ihn trotzdem lieben.

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Rachel Cusk berichtet über die belastenden Folgen ihrer Trennung und versucht, deren Ursachen und ihren eigenen Fehlern auf die Spur zu kommen.
Rezension von Claudia Fuchs.

Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-42914-3
22 Euro

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