Als vor über 50 Jahren der erste Bericht des „Club of Rome“ über die Grenzen des Wachstums erschien, erhielt die Umweltbewegung enormen Zulauf. Zahlreiche neue wissenschaftliche Institute wurden gegründet, um die sozialökologische Transformation voranzutreiben. Nun zieht der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn eine ernüchternde Bilanz.
Als die neuen sozialen Bewegungen in den 1970er Jahren die ökologische Krise für sich entdeckten, veränderte das die Umweltbewegung von Grund auf. Waren es bis dahin vor allem Bürgerinitiativen, die sich für einen behutsameren Umgang mit der Natur eingesetzt hatten, kamen nun die studentischen Rebellen mit ihrer Forderung nach einer neuen Gesellschaft hinzu. Von da an stand die Zerstörung der Natur in einer Reihe mit der Unterdrückung der Frauen, der Ausbeutung der Arbeiter und der Marginalisierung von Minderheiten.
Die sozialökologische Transformation
Aus der Umweltbewegung wurde so das Projekt einer sozialökologischen Selbstbefreiung. Zwar gab es bereits eine lange Tradition des Naturschutzes, aber erst das Versprechen einer alternativen Gesellschaft machte die Naturschützer zu progressiven Streitern für eine bessere Zukunft. Sie setzten sich mit Nachdruck dafür ein, das moderne Ideal individueller Selbstbestimmung endlich zu verwirklichen.
In seinem Buch „Unhaltbarkeit“ sieht der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn dieses Projekt nun an sein Ende gelangt. Auch wenn der ökologische Umbau inzwischen zur Agenda der Regierung gehöre, sei von den ursprünglichen Anliegen nur noch wenig übrig geblieben.
Das ökologische Paradox
Den Grund für dieses Scheitern sieht Blühdorn allerdings nicht in äußeren Widerständen. Verantwortlich sei weder der gesellschaftliche Backlash, den wir zurzeit erlebten, noch ein grüner Kapitalismus, der sich die emanzipatorischen Anliegen angeeignet habe. Dass die Bewegung trotz ihrer unbestreitbaren Erfolge das eigentliche Ziel einer grundlegenden Erneuerung der Gesellschaft nicht erreichen konnte, liege vielmehr an ihren inneren Widersprüchen:
Dieser Selbstwiderspruch wird für Blühdorn besonders anschaulich an dem Umstand, dass es gerade der emanzipatorische Erfolg der Bewegung war, der das Erreichen ihrer Ziele verunmöglichte. Denn keine andere Bewegung habe einen derart großen Anteil an der Entstehung eines Ich-Ideals, bei dem die Selbstverwirklichung an erster Stelle stehe und das keinen allgemeinen Imperativ mehr als gesellschaftliche Autorität anerkenne.
Die emanzipatorische Katastrophe
Am Anfang der Bewegung stand die Hoffnung auf die treibende Kraft der Zivilgesellschaft, die niemand so intensiv begleitet hat wie der Soziologe Ulrich Beck. Auf ihn bezieht sich Blühdorn, wenn er seinen Untertitel „Auf dem Weg in eine andere Moderne“ von dessen Buch zur „Risikogesellschaft“ von 1986 übernimmt. Für Beck war die „andere Moderne“ eine erneute Aufklärung, die ihren Ausgang vom heilsamen Schock der ökologischen Krise nehmen sollte. Für Blühdorn folgt nun eine „dritte Moderne“, in der die Emanzipation mit ihren geschlossenen Ich-Welten die Bedingungen der Aufklärung aufgezehrt hat:
Übrig bleibt unter diesen Umständen nur noch, die Resilienz der Gesellschaft für die kommenden Katastrophen zu erhöhen. Das ist das nüchterne Fazit, das Blühdorn zieht. Man mag seinen Argumenten nicht in allen Punkten folgen, aber eine Auseinandersetzung mit ihnen ist überaus lohnend.
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