Buchkritik

Paula Irmschler – Alles immer wegen damals

Stand
Autor/in
Bettina Baltschev

Eine junge Frau aus Leipzig lebt in Köln und hat seit zwei Jahren nicht mehr mit ihrer Mutter gesprochen. Als sie dreißig wird, bekommt sie von den Geschwistern eine Reise mit „Mutti“ geschenkt. Mit „Alles immer wegen damals“ hat Paula Irmschler einen komischen, melancholischen, hin und wieder etwas zerfaserten Roman geschrieben über Familienbande zwischen Ost und West.

Müsste man das Leben von Karla mit einem Satz zusammenfassen, so lautete er vermutlich: Es ist kompliziert. Sie ist 29, lebt in Köln in prekären Verhältnissen, ist verliebt in eine Frau, die weit weg ist, und mit ihrer Mutter Gerda hat sie seit zwei Jahren kein Wort gewechselt. Warum genau, ist nicht so leicht zu sagen. Eine Antwort könnte darin liegen, dass Karla 1989 in Leipzig zur Welt kam.

Ihre Mutter hatte da bereits drei Kinder, musste sich nach der friedlichen Revolution plötzlich in einem neuen System zurechtfinden und hatte kaum Zeit und Nerven, sich der sensiblen Karla ausreichend zu widmen. Und weil auch der Vater abwesend war, musste das Mädchen sich eben selber helfen, was einerseits in tiefsitzende Ängste und Selbstzweifel und anderseits in einer tiefen Entfremdung zwischen Tochter und Mutter mündete.

Es klingt dramatisch und das ist es auch, doch Paula Irmschler findet in ihrem Roman „Alles immer wegen damals“ einen Ton für ihre Geschichte, der schön schnoddrig ist und doch berührt.  

Erst als sie 17 wurde, erfuhr Mutti, dass Karla schon lange ihre Tage hatte und war enttäuscht, sie hätte das gern gewusst, es sei doch eine große Sache, man wird zur Frau. Karla fühlte sich überhaupt nicht als Frau, nur weil sie einmal im Monat ultrafiese Schmerzen und eklige Suppe im Schlüpfer hatte. Sie wartet noch heute auf das Gefühl. Auch ihr Körper hat sich nicht verändert. Sie ist bis heute dünn und flach, sie findet sich viereckig. Sie ist eine Sache.

Der Ossi in ihr 

Immer im Wechsel erzählt Paula Irmschler von Karla in Köln und Gerda in Leipzig. Karla wollte zwar so schnell und so weit wie möglich weg von der Mutter, aber auch in Köln fühlt sie sich unfertig und verloren. Allerdings bemerkt sie in der Ferne, dass sie ihre Herkunft nicht einfach abstreifen kann.

Und so zeichnet Paula Irmschler nicht nur das Porträt einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung, sondern wie nebenbei auch das einer nicht weniger schwierigen Ost-West-Beziehung, die sich in Karla auf interessante Art und Weise personifiziert. So, wenn sie allein in einem Kölner Café sitzt und die einladenden Blicke einer Frau am Nebentisch abwehrt.  

Karla ist ein unzugänglicher Millennial, obendrauf ist sie noch, wie sie ist, und dann steckt da leider auch immer ein unaufgeschlossener Ossi in ihr, der skeptisch gegenüber allen ist, die ihr fremd sind, also alle, die sie kürzer als ein Jahr kennt. Wann wird sie endlich zur Kölnerin und schmatzt einfach alle ab?

Und wo bleibt unsere Geschichte? 

Mutter Gerda dagegen gehört zu der Generation Ostdeutscher, die im wiedervereinigten Deutschland tapfer ihren Weg gegangen sind und dabei zugesehen haben, wie Leute aus dem Westen auch im Osten zunehmend das Sagen hatten. Mit ihrer Freundin Karin erträgt sie in Leipzig die Höhen und Tiefen dieser Entwicklung und bemerkt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine gewisse Selbst-Musealisierung.  

Die Lebensgeschichten der beiden sind jetzt Systembiografien. Das Leben von damals befindet sich nun in Museen und Dokus, aber nirgendwo findet Gerda ihres. Vieles war eigentlich so unspektakulär, findet sie. Ja, richtig langweilig, ergänzt Karin. Aber dann sagt sie: Das sollte man nicht öffentlich sagen, sonst verharmlost man die Diktatur.

Weil sowohl Karla als auch Gerda im November geboren sind, schenken ihnen die Geschwister zum 30. bzw. 60. Geburtstag schließlich eine gemeinsame Reise nach Hamburg, die Karla nur zähneknirschend antritt und die sie unverhofft an die Ostsee führt. Dort kommen Tochter und Mutter sich immerhin wieder so nahe, dass sie erst über Wessis und deren Macken lästern und sich dann ihre Versionen der gemeinsamen Geschichte erzählen können.

Der Titel von „Alles immer wegen damals“ ist also Programm, ein manchmal trauriges, oft komisches, aber immer unterhaltsames Programm. Paula Irmschler schafft es, das zumindest im Osten immer noch heiße Eisen der ungleichen Verhältnisse anzufassen ohne in Larmoyanz zu verfallen.

Dass der Roman ein bisschen zerfasert und kein richtiges Ende findet, liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache: Familie ist nie zu Ende und auch die deutsche Wiedervereinigung ist, wenn man ehrlich ist, noch in vollem Gange.  

Mehr zu Paula Irmschler

Stand
Autor/in
Bettina Baltschev