Miesepeter in Wollhandschuhen
Unvergessen ist die Meme-Welle um Bernie Sanders im Januar 2021: Bei der Amtseinführung von Joe Biden sitzt der linke Senator aus Vermont mit verschränkten Armen und Beinen, Parka und gestrickten Fäustlingen eingesunken auf einem Klappstuhl; im Gesicht eine schief sitzende OP-Maske.
Sanders Pose wirkt teilnahmslos, fast beleidigt. Zweimal hatte er sich bei den demokratischen Vorwahlen als Kandidat aufstellen lassen – erfolglos. Nun, mit 79 Jahren, war es das wohl.
Seine resignierte Körperhaltung, die US-Medien als „grumpy chic“, also miesepetrig, bezeichneten, drückte aber auch die Stimmung zu Beginn des zweiten Pandemiejahres aus.
Die Meme-Maschine läuft heiß
Sanders war nur als Gast geladen und sollte bei der Amtseinführung eigentlich keine Rolle spielen. Aber das Foto des offenbar leicht fröstelnden Politikers ging viral.
Innerhalb weniger Stunden stellten es kreative Internetnutzer*innen frei und montierten es in alle möglichen Momente der Weltgeschichte. Die Handwärmer schafften es sogar zu einem eigenen Twitter-Account.
Während manche den Demokraten in ikonischen Filmen platzierten …
… ließen ihn andere nachträglich an der Mondlandung teilhaben …
Dann wieder gesellte sich Sanders neben die Vertreter der Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg, den Briten Winston Churchill, den US-Präsidenten Franklin Roosevelt und den sowjetischen Diktator Josef Stalin.
Auch deutsche Internetseiten spielten den Trend mit, etwa der Fußballbundesligist Mainz 05.
Sanders fügte sich aber auch wunderbar in das berühmte Foto „Mittagspause auf einem Wolkenkratzer“ ein, das eine Gruppe Bauarbeiter während der Entstehung des Rockefeller Centers in New York zeigt.
Seine Unabhängigkeit spricht für ihn
Bernie Sanders, 1941 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren, schloss sich erst spät und dann auch nur zeitweise den Demokraten an, um in zwei Vorwahlen zunächst gegen Hillary Clinton, später gegen Joe Biden anzutreten.
Die meiste Zeit seiner Laufbahn trat der studierte Politikwissenschaftler als Parteiloser an. Seine Unabhängigkeit ist auch finanzieller Art: Sanders verzichtete in seinen Wahlkämpfen auf Spenden von Großkonzernen und hielt keine privaten Spendendinner ab. Der Wahlkampffinanzierung durch die Wirtschaft steht er kritisch gegenüber; diesen Zustand bezeichnete er mehrfach als oligarchisch.
Bernie Sanders Buch „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“ in der SWR2-Kritik:
Relativ ausgewogene Positionen
Sanders nennt seine politische Orientierung „democratic socialism“. Im Unterschied zu anderen Linken kritisiert er den antidemokratischen Charakter kommunistischer Staaten wie der Sowjetunion.
Auf diesen wenig radikalen Anstrich seiner Politik dürften sich viele einigen können, geht es ihm doch offenbar nicht um einen Umsturz des politischen Systems. Sanders strebt eine Mischform aus Marktwirtschaft und sozialen Leistungen durch den Staat an. Kommentatoren ordnen ihn darum der klassischen Sozialdemokratie zu. Andere bezeichnen ihn als Linkspopulisten.
Bernie-Fans auch selbst potenzielle Nutznießer seiner Politik
Junge Menschen dürften sich von Sanders Reformvorstellungen auch als potenzielle Nutznießer angesprochen fühlen: So fordert Sanders etwa die Abschaffung von Studiengebühren und eine bessere Kinderbetreuung.
Über einen Schwangerschaftsabbruch sollen Frauen selbst entscheiden, nicht der Staat. Sanders befürwortet die Legalisierung von Cannabis und Marihuana. Außerdem schwebt ihm vor, jedem jungen Studierenden eine vierjährige Uniausbildung anzubieten – kostenfrei.
Ein Mann aus einfachen Verhältnissen als Identifikationsfigur
Über seine prekäre Herkunft spricht Sanders offen: Nachhaltig geprägt und politisiert habe ihn, dass der Job seines Vaters als Verkäufer von Farblacken die kleine Familie zwar ernährte, aber kaum Luxus erlaubte. Die Geldsorgen beschäftigten ihn sehr, sein Studium finanzierte er mit Teilzeitjobs, Zuschüssen und Darlehen, später arbeitete er unter anderem als Zimmermann und freier Dokumentarfilmer.
Dass Sanders im Netz so starken Anklang findet und junge Menschen anspricht, erklärt sich aber auch mit seinen Wahlkämpfen, die stärker als bei anderen Kandidaten in den sozialen Netzwerken stattgefunden haben.