Buchkritik

Manu Larcenet – Die Straße. Nach dem Roman von Cormac McCarthy

Stand
Autor/in
Andrea Heinze

Die Pflanzen sind tot, das Wasser versiegt, die Menschen bekämpfen einander, um die letzte Nahrung zu ergattern. Durch diese postapokalyptische Welt ziehen ein Vater und sein Sohn Richtung Meer, weil sie dort auf bessere Bedingungen hoffen. Cormac McCarthy hat für den Roman „Die Straße“ vor knapp 20 Jahren den Pulitzer Preis bekommen. Jetzt ist die Geschichte von Manu Larcenet kongenial als Comic gezeichnet worden.

Schwarze, wilde Wolken türmen sich am Himmel auf. Ein Sturm fegt mit mächtiger Kraft über die Erde. Unter einer Plane, die notdürftig an einem Stock festgebunden ist, liegen Vater und Sohn, kaum geschützt vor der Naturgewalt, die um die beiden tost. Das ist die Eingangssequenz der Comicadaption von „Die Straße“ von Manu Larcenet – sie ist eine Methapher für all das, was die beiden in diesem Road Movie erwartet.

Überleben in der Hölle

Eine nicht näher erklärte Katastrophe hat die Erde zerstört. Die wenigen Überlebenden müssen in einer Welt klarkommen, in der keine Pflanze mehr wächst und das Wasser versiegt ist. Sie suchen nach den letzten Konserven der untergegangenen Zivilisation – viele jagen die letzten Tiere und Menschen, um sie zu essen. Das Leben in dieser Welt ist die Hölle.

Werden wir sterben? 
– Irgendwann schon.
– Und was… würdest Du machen, wenn ich sterben würde? 
– Dann würde ich auch sterben wollen.

10 Jahre alt ist der Sohn – und genauso lange irrt der Vater mit ihm durch die kaputte Welt. Das geht aus einem Brief hervor, den der Vater im Comic auseinanderfaltet. Es ist der Abschiedsbrief der Mutter, die ihren Sohn kurz nach der Katastrophe entbunden hat. Sie hatte keine Hoffnung, menschenwürdig in dieser zerstörten Welt zu leben und erschoss sich. Nun irrt der Vater mit der Pistole durch die Welt und hat noch genau zwei Kugeln übrig.

Bilder, die an die biblische Apokalypse erinnern

Warum unter diesen Umständen weiterleben? Diese Frage stellt (er) sich immer wieder. Manu Larcenet zeichnet die bis auf die Knochen ausgemergelten Körper von Vater und Sohn so, dass sie an die Darstellungen der biblischen Apokalypse der Renaissance erinnern. Allerdings fehlt den meisten Zeichnungen der üppige Hintergrund. Die Welt von Manu Larcenet ist öde und leer, nur die Äste einiger toter Bäume ragen gespenstisch in die Bilder. Jedes einzelne Bild in diesem Comic ist ein Kunstwerk der Hölle.

Geht´s? Dir ist kalt, mh? 
– Ja. Können wir anhalten?

Cormac McCarthy lässt in seinem Roman „Die Straße“ abwechselnd Vater und Sohn von ihrer Odyssee erzählen. Manu Larcenet streicht den Text des gut 250-Seiten Romans radikal zusammen. Sprache ist in dieser unmenschlichen Umwelt kein facettenreiches Kommunikationsmittel, das Grauen ist unaussprechlich. Vater und Sohn haben keine Namen und unterhalten sich fast ausschließlich über Praktisches. Umso bedrohlicher werden die kleinsten Wendungen in der kargen Kommunikation.

Ich versuche, ein Feuer zu machen. Gib mir die Streichhölzer.
– Ich… Ich hab sie verloren, Papa.
– Was? 
– Ich hab sie verloren, ich weiß nicht wann. Ich wollte es Dir nicht sagen, tut mir leid, Papa.

Im Roman bezeichnen sich Vater und Sohn als diejenigen, die „das Feuer bewahren“. Damit meint Cormac McCarthy, dass sie trotz aller Widrigkeiten ein moralisch integres Leben führen. Das wird bei all dem Hunger und dem Schrecken immer wieder auf die Probe gestellt. Als der Sohn von einem Kannibalen gefangen wird, befreit ihn der Vater mit einem Kopfschuss. Die halb verhungerten Menschen, die sich andere Kannibalen in einem Keller als Vorratslager halten, werden dagegen von Vater und Sohn nicht befreit, aus Angst, Aufmerksamkeit zu erregen.

Keine Hoffnung, auch nicht am Meer

Die beiden folgen einfach nur der Straße quer durch den Kontinent, die sie ans Meer bringen soll - weil der Vater gute Erinnerungen ans Meer hat. Als sie dort ankommen, ist es aber nicht besser als im Landesinnern: schwarze Wolken hängen über dem Meer, ein zerborstener Kutter liegt am Strand und tote Fische liegen zwischen menschlichen Skeletten.

Papa? 
– Mmh? 
– Was sind unsere langfristigen Ziele?
– Wo hast Du das denn her? 
– Das hast Du gesagt.
– Wann?
– Vor langer Zeit. 
– Und was war die Antwort?
– Das weiß ich nicht mehr. 
– Ich auch nicht.

Und dann werden sie auch noch beraubt. Alles Hab und Gut, das die beiden in einem Einkaufskorb den weiten Weg bis ans Meer geschoben haben, die Konserven, die sie in mühevoller Arbeit zwischen Leichen und anderen grausigen Funden zusammengeklaubt haben, um zu überleben, ist nach der ersten Nacht am Meer weg. Wie ein Wahnsinniger sucht der Vater nach dem Dieb, flitzt von der Deckung eines Autos über die Straße, findet einen verlotterten Mann mit dem Einkaufswagen - und rächt sich.

Das Messer runter… Zieh dich aus, alles runter – und zwar schnell… Leg alles in den Wagen.
– Mach das nicht. 
– Die Schuhe auch. Ich verhungere.. Du hättest dasselbe getan. Du weißt, ohne Kleider verrecke ich.
– Du wolltest uns töten. Ich lass Dich genauso zurück, wie Du uns.

In einem Anfall von Wut und Verzweiflung hat der Vater seinen Vorsatz vergessen, moralisch integer zu bleiben. Will man in so einer Welt wirklich überleben? Cormac McCarthy gibt darauf keine Antwort. Stattdessen zeigt er den Niedergang aller Menschlichkeit in einer zerstörten Welt.

Als der Roman vor knapp 20 Jahren erschien, vermuteten viele Kritiker, dass McCarthy die Folgen des Klimawandels (beschrieben/aufgezeigt) hat. Heute erscheint das noch wahrscheinlicher. Manu Larcenet hat die Sprache des Romans in eindrückliche und zeitgemäße Bilder des Grauens verwandelt, mit facettenreichen Grauschattierungen. Das ist keine erbauliche Sommerlektüre, sondern ein postapokalyptisches Meisterwerk.

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