SWR2 lesenswert Kritik

Peter Grandl – Turmgold

Stand
Autor/in
Sonja Hartl

Kann man in einem Unterhaltungsroman engagiert und vielschichtig über rechten Terror schreiben? In seinem Debüt "Turmschatten" hat Peter Grandl gezeigt, dass es geht. Nun gibt es die Fortsetzung. In "Turmgold" nehmen zwei Neonazis die Kinder und Erzieherinnen eines jüdischen Kindergartens als Geiseln. Ihre Ziele: Rache und Ruhm. Ein engagierter, spannender Krimi, der jedoch sprachlich etwas schlicht ausfällt.

Neonazi Steiner ist immer noch stinksauer. Vor zehn Jahren wurde er in einem süddeutschen Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg von einem ehemaligen Mossad-Agenten gefangen gehalten und gefoltert. Nun will er der Welt und seinen Kameraden zeigen, dass er sich nicht demütigen lässt – und nimmt mit seinem Neffen, dem Nachwuchs-Nazi Lutz, die Kinder und Erzieherinnen des jüdischen Kindergartens als Geisel, der mittlerweile in dem Turm untergebracht ist. Was Steiner nicht weiß: Unter dem Turm sind geheime Katakomben, in denen rechte Kräfte einen Nazigold-Schatz vermuten. Das klingt völlig hanebüchen – ist aber in Peter Grandls „Turm“-Reihe ein historisch grundierter und glaubwürdig konstruierter Ort.

„Turmgold“ ist die Fortsetzung von Grandls Überraschungserfolg „Turmschatten“, der ebenfalls in diesem Hochbunker – dem Turm – in der Nähe einer bayerischen Kleinstadt spielte. Von den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg als Schutzraum vor Luftangriffen gebaut, wurde der Turm im ersten Teil von dem Architekten Behrends auf Auftrag des ehemaligen Mossad-Agenten Ephraim Zamir zu einem High-Tech-Sicherheitsgebäude umgebaut. In „Turmgold“ greift Grandl auf dieselbe erzählerische Struktur zurück: der Turm wird abermals zum Schauplatz einer Geiselnahme, er verbindet die Handlungsstränge und Figuren. Sie erhalten in kurzen Kapiteln eine knappe Biographie, die ihre Herkunft erklärt – und Plot-Elemente verbindet.

Der Turm ist ein ungewöhnlicher und doch überragender, passender Handlungsort. Er symbolisiert die nationalsozialistische Vergangenheit und deren Kontinuitäten. Steiner – das macht „Turmgold“ eindrucksvoll klar – ist kein Einzeltäter. Schlägertypen wie er sind lediglich ein Teil eines dezentralen Gesinnungsnetzes mit vielen Ausprägungen und Ebenen. Weitere Teile sind Nationalsozialisten mit bürgerlichem Anstrich wie der Politiker Hessel: stolz auf seine preußischen Vorfahren, zieht er im Hintergrund der AfD die Fäden. Opportunisten wie der Architekt Behrends, der das Gold aufgespürt hat. Ex-Sicherheitsleute wie der ehemalige KSK-Oberstabsfeldwebel Otterbach, der zusammen mit Ex-Bundeswehr-Angehörigen und Neonazis einen Umsturz plant. Aber auch reiche Unternehmer, die anonym Geld für illegale Aktionen bereitstellen. Sie kennen einander nicht alle persönlich, agieren oftmals unabhängig voneinander. Aber sie haben dasselbe Ziel: die Wiederkehr eines faschistischen Staats. Damit ist „Turmgold“ beeindruckend und erschreckend nah an der Realität. Sechs Tage nach Erscheinen des Romans im Dezember 2022 wurde bekannt, dass ein Prinz, eine AfD-Politikerin und ein früherer Fallschirmjägerkommandeur einen Putsch gegen die Bundesregierung planten.

Engagiert schreibt Grandl gegen Antisemitismus und Nationalismus an. Sprachlich ist das oft schlicht und manchmal auch klischeehaft – da erfüllt eine Stimme ein „Herz mit Wärme“, wird einem Ex-Neonazi „schmerzhaft“ klar, dass er ein „kaltblütiges Monster“ ist. Aber die Handlung trägt diesen spannenden Unterhaltungsroman über weite Strecke. Grandl ist Drehbuchautor, das merkt man der geschickten Dramaturgie des Buchs an – sie steckt voller überraschender Wendungen. Gelegentlich übertreibt er es: Mit ausführlichen Einführungen von Figuren wie Lutz‘ Mutter. Mit zu pädagogischen Erklärungen für den Gesinnungswandel einzelner Figuren. Mit Frauenfiguren, deren Stärke alleine in Aufopferung besteht. Und mit dem Schlussteil dieses Romans: die vielen Explosionen, grausamen Tode und nur knappes Überleben sorgen für ein bombastisches Spektakel, das aber nicht verdecken kann, dass dem gesamten Setting die moralische Ambivalenz des ersten Teils fehlt. Die Sympathien sind hier klar verteilt – auch bei den verantwortlichen Polizisten, die erstaunlich irrational agieren. Das lässt sich mit ihrer Vergangenheit erklären – sie waren in „Turmschatten“ bereits vor Ort –, allerdings gibt es auch außerliterarische Gründe für wiederkehrende Figuren: Sie binden das Publikum an eine Reihe und tragen wesentlich zum Erfolg bei.

So war der erste Teil „Turmschatten“ ein bemerkenswerter Thriller, der aus vielen bekannten Elementen etwas Neues machte - „Turmgold“ nun ist eine überwiegend gelungene Fortsetzung. Dass die Serienverfilmung bereits geplant ist, verwundert nicht. So großes Blockbusterkino gibt es in der deutschsprachigen Spannungsliteratur selten.

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Autor/in
Sonja Hartl