Reportage

Meri Valkama – Deine Margot

Stand
Autor/in
Sonja Hartl

Die Suche nach der Geliebten ihres Vaters führt die finnische Journalistin Vilja 2011 nach Berlin. Dort hat sie mit ihren Eltern in den 1980er Jahren gelebt, dort waren die letzten glücklichen Jahre als Familie. Meri Valkamas „Deine Margot“ ist ein packender Roman über Erinnerungen, den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart und das Verhältnis Finnlands zur DDR

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Berlin-Mitte. Fischerinsel heißt ein Wohngebiet auf einer Spreeinsel zentral in Berlin. Plattenbauten, zwischen ihnen ein Spielplatz, eine Schwimmhalle. Gebaut wurden die Häuser Anfang der 1970er Jahre in der DDR. In den 1980er Jahren hat die finnische Autorin Meri Valkama in einem der Hochhäuer gewohnt. Deshalb spielt hier auch ihr Romandebüt „Deine Margot“.

„Diese fast vier Jahre waren die glücklichste Zeit meiner Kindheit“, erzählt sie bei einem Spaziergang über die Fischerinsel. Als Vierjährige kam sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Ost-Berlin: Ihr Vater war Auslandskorrespondent einer linken finnischen Zeitung.

„Das ist unser Haus, das, mit der Nummer 10, mit diesem Gelb bei den Fenstern. Wir wohnten auf der zweiten Etage.“ Das 20-stöckige Haus ist ein wichtiger Handlungsort ihres Romans: Dort bezieht ihre Protagonistin – die Journalistin Vilja – im Jahr 2011 eine Ferienwohnung.

Der Geruch flutete ihr entgegen, als die Fahrstuhltüren sich im achtzehnten Stock öffneten. Derselbe Geruch, derselbe noch nach fünfundzwanzig Jahren, dachte Vilja, und auch wenn sie sich unter anderen Umständen den Schal vor das Gesicht gedrückt und sich vor dem Gestank des Müllschluckers geschützt hätte, ließ sie jetzt den süßlich-fauligen Geruch in sich hineinströmen.

Auf der Suche nach der Vergangenheit

In Berlin will Vilja herausfinden, von wem die Briefe stammen, die sie im Nachlass ihres verstorbenen Vaters gefunden hat. Unterzeichnet sind die Briefe mit „Deine Margot“, gerichtet an „lieber Erich“ – eine Anspielung auf die Honeckers, die Vertrautheit zeigt und mehr noch: Offenbar hat ihr Vater in den 1980er Jahren ein neues Leben mit dieser Frau geplant. Langsam wird Vilja klar, warum ihre Familie nach der Rückkehr nach Helsinki zerbrach. Nun will sie dahinter kommen, was damals passiert ist: Sie besucht alte Bekannte ihrer Eltern aus jenen Jahren, spricht mit der besten Freundin ihrer Mutter, einem damaligen Kollegen ihres Vaters – und hinterfragt ihre eigenen Erinnerungen an diese Zeit. 

„Wie soll ich es erklären? Wenn man in ein anderes Land zieht, dann erinnert man sich später an vieles. Natürlich sind es die Erinnerungen eines Kindes, ich weiß auch nicht, ob jeder Moment real war. Aber ich habe starke Erinnerungen an bestimmte Geschmäcker, Gerüche und so etwas.“

Dazu gehört auch dieser leicht süßliche Geruch nach Müll, der sich durch die Hausflure und fast leitmotivisch durch den Roman zieht. Solche Details zeichnen ein vielfarbiges, oftmals sinnliches Bild jener Jahre.

„Mir ist klar, dass ich damals ein kleines Kind war. Ich wusste nicht viel über gesellschaftliche oder politische Fragen. Und wir waren eine Familie, die eine Art Diplomatenstatus hatte. Für uns war es anders als beispielsweise für unsere ostdeutschen Nachbarn.“

„Aber der wichtigste Teil waren die Diskussionen mit Ostdeutschen“

So ergeht es auch Vilja: In ihren Gesprächen stößt sie immer wieder auf Fakten, die ihre eigenen Erinnerungen korrigieren. Nicht nur das. Im Roman werden auf einer zweiten Zeitebene die Erlebnisse und Erfahrungen von Viljas Eltern erzählt: Ihre Hoffnungen und Sehnsüchte, ihre Gespräche mit Freunden und Nachbarn in Berlin. Manche hadern mit Einschränkungen, wollen die DDR verlassen. Andere sind weiterhin überzeugt, dass der Sozialismus dem Kapitalismus überlegen ist. In den vielfältigen Nebenfiguren zeigt sich, dass Meri Valkama über zehn Jahre für ihr Buch recherchiert hat. Sie hat viel gelesen, ist oft nach Berlin gereist, hat eine Zeitlang hier gelebt.

„Aber der wichtigste Teil waren die Diskussionen mit Ostdeutschen. Man kann lesen und Filme oder Serien schauen, aber wenn man wissen will, was Menschen denken, muss man mit ihnen reden.“

Für Vilja wird die Suche nach der Geliebten des Vaters auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Sie wird herausfinden, wer die Frau war. Warum sie selbst – Vilja – Probleme mit Nähe hat. Und warum ihr Verhältnis zu ihrer Mutter so schwierig ist.

Das Gefühl war stark, es errichtete um sich herum tief im Boden verankerte Pfähle und bestand, überraschend für Vilja selbst, aus der Gewissheit: Sie hatte das Recht, ihre eigene Vergangenheit aufzuklären, das Recht, ihre eigene Geschichte zu kennen, und auf jede Art von Fragen, die ihr helfen würden, zu verstehen und weiterzukommen. Warum war das für die Mutter so unmöglich zu akzeptieren?

In Finnland anders über die DDR Sprechen

Diese Verankerung im Persönlichen sorgt dafür, dass der Roman trotz einiger Längen und manch kitschiger Passagen überzeugt: Sie bringt große historische mit den nur vermeintlich kleinen privaten Ereignissen zusammen. Dazu schreibt Meri Valkama über das Verhältnis Finnlands zur DDR. Finnland ist ein Land mit einer ausgeprägten und starken linken Tradition. Davon erzählt auch Autorin Pirkko Saisio in ihrer Helsinki-Trilogie, die aktuell erscheint. Es gab Austauschprogramme zwischen der DDR und Finnland, viele Finnen haben eigene Erinnerungen an ihre Zeit in diesem Land.  

„Der Historiker Seppo Hentilä hat viele Bücher über die DDR geschrieben und seine Analyse ist: Vor dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges wurde in Finnland ein sehr positives Bild von der DDR gezeichnet. Und mit dem Ende des Kalten Krieges wurde alles nur noch schwarz gemalt. Diese Veränderung war wirklich riesig und ich denke, einige hat das traumatisiert – gerade die, die noch Verbindungen zur DDR hatten. Viele Finnen dachten, man dürfe nun nach dem Mauerfall nicht mehr gut über diese gemeinsamen Zeiten sprechen.“

Mit ihrem Roman – in Finnland war er ein großer Erfolg – will Meri Valkama dazu beitragen, dass in Finnland wieder offener über die DDR geredet wird. Dennoch ist „Deine Margot“ keine groß angelegte historische Analyse, sondern ein bisweilen leicht überfrachteter, aber spannender Familienroman, der geschichtliche Ereignisse mit persönlichen Erinnerungen geschickt und überzeugend verbindet.

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