Alltag in der Zweck-WG. Lars Reichardt teilt sich ein Reihenhaus mit mehreren Menschen, Münchner Mieten sind teuer. Soll er trotzdem ausziehen? In „Zimmer für immer“ sucht der Autor nach Wohnalternativen abseits vom Single- oder Familienhaushalt – und entdeckt wenig Überraschendes.
Immobilien sind angesagt, begehrt und teuer. WGs dagegen sind eher out, inzwischen aber auch relativ teuer. Begehrt sind sie vorwiegend dann, wenn sich nichts anderes bietet, oder aus praktischen Gründen, wie im Fall von Lars Reichardt. Er besitzt ein Reihenhaus im teuren München, und dort lebt er seit Jahren mit einigen Untermietern zusammen, was, da man sich Küche, Bad, Waschmaschine und Terrasse teilt, zwangsläufig auf eine Wohngemeinschaft hinausläuft. Und obwohl er betont, dass es ihm keineswegs um ein aktives Zusammenleben geht, findet er es nebenbei gar nicht so schlecht, wenn sich im Haus was rührt, auch wenn die Bilanz von Freude und Ärger gemischt ausfällt. Vor allem aber hat ihm diese Situation ein Thema beschert, das er als Journalist gut gebrauchen konnte. Nämlich die Frage, wie es eigentlich um alternative Wohnformen jenseits von Familienhaushalt und Singledasein bestellt ist. Daraus wurde ein Rechercheprojekt und schließlich ein Buch mit dem Titel „Zimmer für immer. Meine Suche nach einem Ort zum Bleiben".
Im Zentrum stehen Reichardts eigene WG-Erfahrungen, auf die er nach Recherche-Ausflügen zu anderen Wohnprojekten immer wieder zurückkommt. Zu seinen wechselnden Mitbewohnern gehören Astrid, Li, Birgit und Rudi. Astrid nimmt Waschmaschinenreparaturen in Angriff, scheitert aber daran, die demontierten Teile wieder zusammenzubauen. Li übernimmt die unbeliebte Aufgabe der Toilettenreinigung, vergisst aber bei seinen Ausflügen ins Nachtleben gerne den Hausschlüssel. Birgit muss zwanghaft Corona-Viren auslüften und liebt die Schleimpilze über die sie forscht mehr als jeden Menschen. Und Rudi, seines Zeichens Rock-Professor, hat zwar bahnbrechende Musikvideos mit Queen und Freddie Mercury produziert, stellt aber sein Geschirr zum Aufweichen in die Spüle, ohne es je wieder anzurühren. Alles lustig und nicht besonders tragisch, zumal sich Reichardt selbst zur freundlichen Duldsamkeit verdonnert hat. Als Sohn der als „Busenwunder" titulierten Schauspielerin Barbara Valentin hat er, wie er in einem eigenen Kapitel verrät, schon als Kind gelernt, mit Unregelmäßigkeiten aller Art zurecht zu kommen.
Es ist eine Zweck-WG par excellence, die Reichardt hier beschreibt, eine pragmatische Lösung auf Zeit, ohne utopischen oder ideellen Gehalt. Allerdings sind auch die Utopien neuer Lebensformen von einst in die Jahre gekommen. Das beobachtet der Autor bei seinen Besuchen in der schwäbischen Dorfkommune „Tempelhof" und in dem italienischen Aussteigerprojekt „Utopiaggia", das vor langer Zeit von 68ern in Umbrien gegründet wurde. Diese Unternehmungen sind keineswegs gescheitert, aber es steht sehr in Frage, ob sie das Dahinschwinden ihrer Gründergeneration überleben werden.
Reichardt arbeitet sein Thema ordentlich ab, ohne stilistische Glanzlichter aber mit viel Human Touch. Zu Ergebnissen, die irgendwie überraschen könnten, kommt er nicht. Mit einer systematischen Durchdringung der Thematik hat das alles wenig zu tun. Insgesamt dominieren die subjektiven Impressionen des Autors. Wer sich jedoch von den gegenwärtigen Möglichkeiten und Grenzen kollektiver Wohnformen ein Bild machen möchte, findet hier immerhin allerlei Material und eine brauchbare Diskussionsgrundlage.