Schon früh löste die starke Körperbehaarung bei Autorin Franziska Setare Koohestani Selbstzweifel aus. Nun verleiht sie sich selbst den Titel „Hairy Queen“ und sagt ihrer Scham den Kampf an. Im gleichnamigen Buch zeigt die Journalistin eindrücklich, wie sehr das Thema ‚Haare‘ ihr Leben prägt. Bereits nach wenigen Seiten wird klar, dass sie in Sachen Haarentfernung eine absolute Expertin ist: Waxing, Bleachen, Epilieren, Lasern – sie versuchte alles, um dem Schönheitsideal der glatten Haut zu entsprechen.
Die Autorin weiß aus eigener Erfahrung, wie belastend Schönheitsideale sein können
Anhand ihrer persönlichen Erfahrungen schildert die Autorin, wie viel Druck Schönheitsideale auf junge Frauen ausüben können. Mit Rückgriff auf kulturwissenschaftliche Theorieansätze versucht sie zu erklären, woher die Behaarungsnormen kommen und wie sie unser Denken und unsere Gesellschaft beeinflussen.
Leider genügen die Texte, auf die sich Koohestani bezieht, nur bedingt einem wissenschaftlichen Anspruch: Vielfach greift sie auf journalistische Beiträge zurück, zum Beispiel aus dem Guardian oder dem Standard. Auch Blogs oder Youtube-Videos werden als Referenzen angegeben. An anderer Stelle zieht sie Klassiker wie Charles Darwin oder Pierre Bourdieu heran. Hier merkt man der Argumentation aber an, dass sich die Autorin nicht vertiefend mit deren Werken befasst hat. Mit anderen Schriften, wie Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“, hat Koohestani sich merklich intensiver auseinandergesetzt.
Wenig zur politischen Dimension von Körperbehaarung
Das Buch bezieht sich auch auf die feministische Bewegung und übt Kritik am Geschäft mit der Haarentfernung. Jedoch werden nur wenig neue Argumente in den Diskurs eingebracht: Dass Heidi Klums Kommentare an ihre ‚Mädchen‘ am Selbstbewusstsein junger Frauen nagen, dass im Kapitalismus mit Schönheitsidealen viel Geld verdient wird und dass ‚schöne‘ Menschen oft bevorzugt werden, ist nicht wirklich neu. Interessanter sind die Ausführungen zu den Schönheitsidealen im Persien des 19. Jahrhunderts. Damals war, Zitat, „der haarige Look (…) der Prinzessinnen total angesagt“. Frauen mit Schnurrbart entsprachen dem Schönheitsideal.
Die politische Dimension von Körperbehaarung, die der Buchtitel ankündigt, wird leider recht einseitig beleuchtet. Viele Facetten bleiben außen vor, etwa dass das Körperhaar auch als politisches Statement eingesetzt wird: Man denke an die rechtsextreme Szene, wo die Glatze Namensgeberin für den Skin Head ist. Aber auch an positive Beispiele, wie das Abschneiden der Kopfhaare, um sich mit der Frauenbewegung im Iran zu solidarisieren. Nicht zuletzt wird die Rasur auch immer wieder als Rebellion verstanden, zum Beispiel bei Popstars wie Sinead O’Connor oder Miley Cyrus.
Eher ein Ratgeber mit Unterhaltungswert als ein Fachbuch
Insgesamt sind die 280 Seiten gut zu bewältigen, denn inhaltlich wie sprachlich ist die Lektüre nicht allzu komplex. Spielerische Elemente, wie das ‚Hairy-Queen-Rating von Haarentfernungsmethoden‘ sollen den theoretischen Diskurs auflockern. Auch die alltagsnahe Sprache soll zum Unterhaltungswert des Buches beitragen. Teilweise gelingt es der Autorin, witzige Formulierungen mit seriösen Inhalten zu verbinden. Die sogenannte ‚Pink Tax‘, die darauf verweist, dass Hygieneprodukte für Frauen per se teurer sind als die für Männer, sei, so Koohestani, „Preisdiskriminierung in a nutshell. Und dabei folgt sie einer kapitalistischen Logik, weil Frauen potenziell stärkere Konsumentinnen sind als Männer, man sie folglich besser abzocken kann“. Aber Sätze wie „Köperbehaarung gehört zu den deepen Dingen des Lebens“ oder „Hairy Queens wie ich sind nicht bloß ein bisschen crazy“ sind in einem Sachbuch eher fehl am Platz.
Insgesamt liest sich das Buch eher wie ein Ratgeber für Jugendliche, die mit Schönheitsidealen beziehungsweise Behaarungsnormen zu kämpfen haben. Und es regt dazu an, sich kritisch mit dem Thema Körperbehaarung auseinanderzusetzen. Auf fachlicher Ebene bleibt „Hairy Queen“ aber schwach: Womöglich ist es die persönliche Betroffenheit, die den Blickwinkel der Autorin einengt. Es ist verständlich, dass Koohestani aufgrund ihrer Erfahrungen eine negative Einstellung entwickelt hat. Für ein Sachbuch aber wären eine differenziertere Darstellung sowie konkrete Ideen zum konstruktiven Umgang mit Behaarungsnormen wünschenswert.