Kulinarik mit Kafka: Du bist, was du isst
Was ich esse, bestimmt, wer ich bin, das könnte als Motto über dem Leben von Franz Kafka stehen. Denn Kafka war ein eingefleischter Vegetarier. 1903 lernte er im Nobelsanatorium „Weißer Hirsch“ in Dresden nicht nur „Lichtlufthütten“ kennen, in denen die Luft schon einmal das Bier ersetzen konnte, sondern auch die fleischlose Ernährung, der er in Zukunft folgte.
Ab da war die Familie Kafka gezwungen, bei der Zubereitung der Mahlzeiten auf den ältesten Sohn Rücksicht zu nehmen, der vor allem Spinatpudding, Grünkernschnitte, saure Linsen, vegetarisches Ragout oder Reisbrei verzehrte.
Zu Tisch mit der Familie Kafka
Und damit nicht genug, er unterwarf sich dem sogenannten „Fletchern“, was nichts anderes bedeutet, als dass jeder Bissen 30 Mal gekaut werden muss. In einem lesenswerten Comic des amerikanischen Undergroundzeichners Robert Crumb, der Kafkas Leben illustriert, sieht man ihn zu Tisch mit einer Sprechblase versehen:
„Eins, zwei, drei, vier, fünf,…“: Und ihm gegenüber der berühmte Tyrannen-Vater Hermann Kafka, dem das Fett vom Messer trieft beim Essen der Würste, sein Kopf umgeben von Wutwolken, so dass man sich nicht wundert, dass die Klinge direkt auf seinen kauenden Sohn zeigt.
Schriftsteller und Gesundheitsguru
Und wer die wunderbare ARD-Serie über Franz Kafka gesehen hat, geschrieben von Daniel Kehlmann und David Schalko, wird sich mit Freuden an eine Szene erinnern, in der Kafka mit seiner damaligen Braut Felice Bauer Essen geht. Aber was heißt schon „essen“: mit dem Wunsch nach Nüsschen und Tafelwasser treibt der sture Gast Kafka den Kellner regelrecht in den Wahnsinn.
Doch nicht genug der Askese. Kafka war auch ein begeisterter Sportler, er war Anhänger des Lehrers Jørgen Peter Müller, er „müllerte“, so hieß das damals, was nichts anderes bedeutet, als 15 Minuten täglich vorm offenen Fenster seine Gymnastikübungen zu machen.
Abhärtung war dessen Devise, der Kafka gerne folgte. Nur zum Muskelaufbau hat es dann doch nicht gereicht, diese Ambitionen ließ er schnell bleiben.
Das Rezept für „Die Verwandlung“
Aber haben diese speziellen Vorlieben Eingang in sein Werk gefunden? An ganz besonderer Stelle sogar. Seine vielleicht berühmteste Erzählung „Die Verwandlung“ ist voll von kulinarischen Anspielungen. Wir erinnern uns:
Aber weil er das erkennt, ist er immer noch ein Mensch, doch gleichzeitig eben ein körperlich in ein Tier verwandelter. Darum spielt das Essen eine so große Rolle. Entscheidet sich an dem, was Gregor Samsa isst, was er ist? Isst er für Menschen typische Nahrung oder für Tiere?
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Gregor Samsa: Mensch oder Tier?
Das fragt sich die Familie. Die Schwester in der Erzählung macht den Identitätstest, weil Gregor die Milch, die er sonst so geliebt hatte, nicht anrührt.
„Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prüfen, eine ganze Auswahl, alles auf einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes halbverfaultes Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die von festgewordener weißer Soße umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandel; ein Käse, den Gregor vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hatte; ein trockenes Brot, ein mit Butter beschmiertes und ein mit Butter beschmiertes und gesalzenes Brot.“
Und des Rätsels Lösung: Er isst natürlich genau den Käse, den er zuvor abgelehnt hatte.
Aus der Sicht der Familie ist Gregor Samsa jetzt ein Tier. Mit allen Konsequenzen, die dieses Urteil im Laufe der Erzählung nach sich ziehen wird.
Wir kennen das traurige Ende, Gregor Samsa verzichtet auf Nahrung, damit die Umwelt erkennt: Ich bin doch ein Mensch. Dafür nimmt er sogar seinen Tod in Kauf.