Die Anthologie „Kafka gelesen“ ist eine Einladung, fremden Lektüren zu folgen und mit 26 Autorinnen und Autoren in die Textwelt Kafkas aufzubrechen. Den ganz unterschiedlichen Erfahrungen ist eines gemeinsam: Sie verführen dazu, den Prager Schriftsteller neu und wieder zu lesen.
Franz Kafka hat nur ein schmales Werk hinterlassen: drei unvollendete Romane, einige Erzählungen, Briefe und Tagebücher. Trotzdem wurde der Prager Autor zum wirkmächtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, zum großen Vorahner der technologischen und bürokratischen Moderne. Benjamin, Adorno, Canetti, Deleuze – um nur einige zu nennen – haben die rätselhafte Welt Kafkas zu deuten versucht. Von dem Berg literaturwissenschaftlicher Analysen ganz zu schweigen, der immer weiter anwächst. Fast jedes Wort dieses Autors wurde unter die Lupe genommen. So begegnet man der Anthologie, in der 26 Autorinnen und Autoren über ihre Erfahrung mit Kafka schreiben, erst einmal mit einiger Skepsis. Der Herausgeber, der Verleger und Lektor Sebastian Guggolz, weiß um solche Vorbehalte. „Kafka gelesen“ versteht er dennoch als Einladung, fremden Lektüren zu folgen und in die Textwelt Kafkas aufzubrechen.
Kafkas Wirkung auf die eigene Biografie
Man kann sich auf einzelne Sätze, Motive oder Lieblingserzählungen konzentrieren, wie das einige Autoren tun, um diese mal mehr mal weniger originell zu dechiffrieren. Oder man erinnert sich an die Begegnung mit Kafkas Texten und rekapituliert deren Wirkung auf die eigene Biografie und das eigene Schreiben. Viele Autoren erzählen so sehr unmittelbar nicht zuletzt auch von sich selbst. Und das ist durchaus spannend zu lesen. Michael Kumpfmüller arbeitete sich als Gymnasiast nahezu durch das komplette Werk Kafkas. Ein später Widerhall der frühen Lektüre ist der gerade verfilmte Bestseller Kumpfmüllers „Die Herrlichkeit des Lebens“ über Kafkas letztes Lebensjahr und seine Liebe zu Dora Diamant. Aber vor dem souveränen späteren Umgang stand die umstürzende Erfahrung der ersten Begegnung.
Schreiben als Ausweg aus den Begrenzungen der Gegenwart
Katerina Poladjan schreibt einen Brief an den liebsten Franz und erzählt von kafkaesken Erfahrungen. Isabella Lehn kennt – wie Kafka – das Gefühl nur zu gut, den Anforderungen der Welt nicht zu genügen. Das Schreiben ist für sie ein Ausweg aus den Beschränkungen der Gegenwart. Für Kafka war es noch mehr: die eigentliche Existenz. Dana Grigorcea berichtet ebenfalls von ihrer frühen Kafka-Lektüre. Im kommunistischen Rumänien waren die Bücher des Prager Autors für sie geradezu überlebenswichtig:
Ein Buch, das die Neugier auf Kafka weckt
Kafka habe dafür gesorgt, dass das Fragmentarische, das Abgebrochene und Verstümmelte Zugang in die Literatur findet und dort seine eigene Würde bekommt, hat sein Biograf Reiner Stach einmal gesagt. In einem der besten Beiträge der Anthologie bekennt Jan Faktor, dass „der ganz große Kafka“ für ihn der fragmentarische ist. Auch den unvollendeten Werken sei nichts mehr hinzuzufügen.
Vorstellen können wir uns, dass diese Anthologie die Neugier weckt auf Kafka. Und dass sie dazu führt, ihn neu oder wieder zu lesen. Es wäre sicher der schönste Ertrag dieses Buches.
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„Franz Kafka im Ostseebad Müritz (1923)“ ist ebenso sorgsam recherchiertes Dokument der letzten großen Liebe Kafkas zu Dora Diamant wie liebevoll gestaltete Chronik eines Sommers an der See.
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Buchkritik Rüdiger Safranski – Kafka. Um sein Leben schreiben
Vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka, einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Bis heute haben seine Texte nichts von ihrer Faszinationskraft verloren. In beeindruckenden und nicht leicht zu vergessenden Bildern schildert er das Erleben der Menschen in der modernen Gesellschaft mit ihrer Absurdität und Undurchschaubarkeit: Das Adjektiv „kafkaesk“ hat sogar in die deutsche Sprache Eingang gefunden. Der Biograph Rüdiger Safranski schildert Kafkas Leben ganz aus seinem Schreiben heraus und bietet eine gut lesbare Kafka-Biographie samt Werkdeutung für alle.
Hanser Verlag, 240 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-446-27972-8
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