Kommentar

Longlist Deutscher Buchpreis 2022 – Für alle etwas dabei!

Stand
Autor/in
Carsten Otte

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2022 steht fest. In einem mehrstufigen Verfahren hat die Jury 20 Titel ausgewählt, um im September die Shortlist mit nur noch sechs Romanen bekanntzugeben. Eine ausgewogene Auswahl, die einlädt, Neues zu entdecken, kommentiert SWR2 Literaturkritiker Carsten Otte. Favoriten hat er dennoch im Auge.

Bestseller neben Feuilleton-Lieblingen und Debütantinnen

Selten gab es eine so ausgewogene Vorauswahl. Auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis finden sich kunstbeflissene Romane, die im Feuilleton gefeiert wurden, wie etwa Eckhart Nickels „Spitzweg“. Es gibt Texte mit großem politischem Furor wie Fatma Aydemirs Familienroman „Dschinns“.

Daneben stehen eher zarte und nicht minder zeitkritische Prosawerke wie Kristine Bilkaus Schauerstück „Nebenan“ oder Dagmar Leupolds Portrait eines Einzelgängers mit dem Titel „Dagegen die Elefanten“. Bestsellerautor Heinz Strunk ist genauso vertreten wie die Debütantin Anna Yeliz Schentke.

Große und kleinere Verlage sind berücksichtigt worden, Bücher aus allen deutschsprachigen Ländern sind dabei und für Statistiker ist vielleicht interessant, dass Werke von zwölf Autorinnen und acht Autoren auf die Longlist gewählt worden sind.

Literatur Diese Bücher sind auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2022 steht fest. Aus den 20 Nominierten wählt die Jury sechs Titel für die Shortlist, die am 20. September 2022 veröffentlicht wird.

Auswahl lädt ein, Neues zu entdecken

Gewiss lässt sich darüber spekulieren, weshalb dieser oder jener Roman fehlt: Warum zum Beispiel mit „Die Nacht unterm Schnee“ Ralf Rothmanns literaturhistorisch bedeutsamer Abschluss seiner Weltkriegstrilogie keine Erwähnung findet, mag rätselhaft erscheinen, aber dieses international beachtete Werk findet auch ohne den Buchpreis ein breites Publikum.

Die Auswahl der siebenköpfigen Jury lädt stattdessen ein, ambitionierte und noch nicht ganz so bekannte Bücher zu entdecken, vielleicht Slata Roschals Identitätssuche mit dem Titel „In 153 Formen des Nichtseins“.

Heiße Anwärterin: Esther Kinsky

Wenn die Frage beantwortet werden soll, wer wirklich den sogenannten „Roman des Jahres“ geschrieben haben mag, muss gewiss der Name Esther Kinsky fallen. Ihre literarische Collage „Rombo“ über die Erdbebenkatastrophe im nordöstlichen Italien im Mai und September 1976 ist sprachlich wie inhaltlich meisterhaft.

Auf die Shortlist gehört gewiss auch Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman „Wilderer“, ein verstörender Monolog eines oberösterreichischen Jungbauern, der es nicht schafft, sich aus der Enge seines vorgegeben Schicksals zu befreien.

Literarische Schwerstarbeit der Jury

Schon in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die Jury dazu neigt, mehr Titel aus dem Frühjahr auszuwählen. So auch dieses Mal: Wichtige Bücher aus dem Herbstprogramm, etwa Norbert Gstreins „Vier Tage, drei Nächte“, sind gerade erst erschienen und haben es möglicherweise nur deshalb schwerer, von einer Jury beachtet zu werden, die ohnehin literarische Schwerstarbeit leisten muss.

Beim Angebot von rund 200 eingereichten Titeln, das auf eine 20er-Liste reduziert werden muss, ist das zwar einerseits verständlich, aber auch leicht wettbewerbsverzerrend.

Insgesamt lässt sich sagen, dass in der Longlist zum diesjährigen Deutschen Buchpreis der Wunsch erkennbar wird, sehr unterschiedliche literarische Positionen in der deutschsprachigen Literatur sichtbar zu machen. Die weitaus herausforderndere Juryarbeit steht mit der Erstellung der Shortlist aber noch bevor, wenn es dann darum geht, eine Auswahl von nur sechs Titeln zu bestimmen.   

Der Deutsche Buchpreis 2021

Literatur Gstrein, Kracht und Sanyal: Längst bekannte Titel auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis

Die Shortlist zum Deutschen Buchpreis wirkt provozierend: Norbert Gstrein, Der zweite Jakob, 1961 geboren, im Februar bei Hanser erschienen. Monika Helfer, Vati, 1947 geboren, im Januar bei Hanser erschienen, Mithu Sanyal, Identitti, 1971 geboren, erschienen im Februar bei Hanser. Thomas Kunst, 1965 geboren, erschienen im Februar bei Suhrkamp. Antje Ravik Strubel, 1974 geboren, erschienen im August bei S. Fischer. Christian Kracht, eurotrash, 1966 geboren, erschienen im März bei KiWi.
Drei Männer, drei Frauen, ok. Aber: Fünf Titel aus dem Frühjahr, nur einer aus aktuellen Verlagsprogrammen. Das ist schon einmal eine spannende Gewichtung. Dreimal Hanser, einmal Suhrkamp, einmal S. Fischer, einmal KiWi – große westdeutsche Verlage, keine Kleinverlage wie sonst.
Welcher Roman der beste ist, das war noch nie so gut diskutierbar wie in diesem Jahr. Reden Sie mit ihrem Buchhändler darüber: Diese Titel kennt schon mancher und sie sind alle sehr gut lesbar. Das ist mal ein Experiment in diesem Jahr. Eine partizipative Shortlist: Alle können mitreden.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

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Carsten Otte