Wer hätte gedacht, dass von jenem popkulturellen Quintett, das Joachim Bessing vor mehr als 20 Jahren im Berliner Hotel Adlon zusammenrief, neben dem ohnehin gesetzten Christian Kracht auch der 1966 in Frankfurt geborene Eckhart Nickel als nicht nur ernstzunehmender, sondern tatsächlich ausgezeichneter Schriftsteller seinen Weg gehen würde?
„Spitzweg“, zweifelsohne eines der meistbeachteten Bücher des Jahres, beginnt in einem Klassenraum mit einer demütigenden Szene: Im Kunstunterricht sollen die Schüler ein Selbstporträt zeichnen. Frau Hügel, die Kunstlehrerin, beugt sich über die Schulter der begabten Kirsten und sagt: „Respekt: Mut zur Hässlichkeit.“ Kirsten rennt aus dem Zimmer; ihr Tischnachbar Carl nimmt das von Kirsten zurückgelassene Bild an sich.
Ein Kunstdiebstahl der besonderen Art. Und der Auftakt für einen Roman, in dem der trickreich verborgene Plot zunächst in den Hintergrund tritt und die Ausstellung von Artifizialität alles ist. Es geht um eine Dachkammer, in der Carl seine Zeit verbringt, um eine Kopie des Spitzweg-Gemäldes „Der Hagestolz“, die angeblich Carls Mutter angefertigt hat. Aber ist es eine Kopie? Was ist Original, was ist Fälschung? Eine Frage, die Nickel bereits in seinem vorangegangenen Roman „Hysteria“ angetrieben hat.
Die Gespräche über Kunst, Ästhetik, das Leben und Literatur scheinen in einem zeitlosen Raum zu schweben; zugleich aber ist in den Roman auch ein durchaus handfester Racheplan gegenüber der Kunstlehrerin und ein furioses Finale eingebaut.
„Spitzweg“ ist ein Hochamt von Einzelgängertum, künstlerischer Freiheit und Unabhängigkeit. Ein stilistisch beeindruckendes Kunstwerk, das ganz und gar in seiner Kunst aufgeht.