Um Frauen in den Wechseljahren kümmert sich bisher vor allem die Pharmaindustrie mit neuen Wundermitteln gegen Hitzewallungen und Schlaflosigkeit.
Und: Die amerikanische Schriftstellerin Dana Spiotta. Denn sie macht genau diese körperlichen Veränderungen und ihre Folgen zum Hauptthema ihres Romans "Unberechenbar".
Was ist noch drin im Leben, was lässt sich ändern, was muss man akzeptieren? Das fragt sich auch die 53-jährige Sam, gut versorgte Ehefrau und Mutter, die in einem Vorort von Syracuse im Bundesstaat New York lebt.
Und dann wurde auch noch Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Der Roman spielt 2017. Der Schock des Wahlergebnisses trägt zu Sams brodelnder Unzufriedenheit bei. Das fade Vorort-Leben in einem seelenlosen Neubau macht sie ebenso aggressiv wie ihr selbstbezogener, fitnessgestählter Ehemann.
Als sie sich Hals über Kopf in einen heruntergekommenen Bungalow in einem Problemviertel verliebt, fällt die Entscheidung: Sam kauft das Haus, verlässt ihren Mann und verliert damit auch den Kontakt zu ihrer 16-jährigen Tochter Ally, die nicht bei ihr einziehen will. Sam und Ally, die eine in den Wechseljahren, die andere in der Pubertät, werfen aus ihrer jeweiligen Perspektive einen Blick auf ein Land und eine Mutter-Tochter-Beziehung im Umbruch.
Sams Unruhe lässt sich nicht nur mit den Wechseljahren erklären. Dana Spiotta wirft durch die Augen ihrer linksliberalen Protagonistin einen kritischen Blick auf die US-Gesellschaft der Trump-Ära. Überall wittert Sam Zeichen des Niedergangs. Der Besuch der jährlichen State Fair, einer Mischung aus Landwirtschaftsausstellung und Jahrmarkt, etwa erweist sich für sie als eine "Exkursion ... in die wahre, hässliche Amerikanische Seele."
Was sie früher als harmloses Vergnügen empfand, sieht sie jetzt als "eine obszöne, stinkende, vulgäre Zurschaustellung ignoranter, schamloser amerikanischer Dummheit und Grausamkeit." Die biertrinkenden Besucher der Arbeiterschicht stoßen Sam ebenso ab wie die Werbung für Waffenbesitz auf T-Shirts. Wehmütig erinnert sie sich an frühere Ausstellungsbesuche mit ihrer Tochter.
Es geht um Abschiede und Versuche von Wiederaufbau in diesem Roman. Nach dem Umzug aus der sicheren, bürgerlichen Vorort-Siedlung in ein Problemviertel ist Sam plötzlich mit Armut, Drogensucht und Straßenkriminalität konfrontiert. In die Restaurierung ihres Hauses investiert sie ebenso viel Zeit, Mühe und Geld wie in die Trainingsstunden im Sportstudio.
Aber die Sanierung des historischen Hauses ist aufwändiger als gedacht. Dana Spiotta fügt kurze Exkurse über den Umbau historischer Gebäude in Syracuse ein und wirft damit auch die Frage auf, wie weit es möglich ist, Altes zu erhalten. Lässt sich der Abbau eines alternden Körpers wirklich aufhalten oder erliegen die athletischen Seniorinnen nur einer teuren Selbsttäuschung? Diese Grundsatzfragen treiben die Protagonistin um, die durch die Krankheit ihrer Mutter noch drängender mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert ist.
In einer Gesellschaft, deren upper class sich sport- und ernährungsbesessen um sich selbst dreht, erlebt Sam ihren alternden Körper als unzuverlässig und unattraktiv. Gleichzeitig sieht sie mit einer Mischung aus Neid und Stolz, wie ihre junge, hübsche Tochter die Blicke auf sich zieht. Allein die Dynamik der Mutter-Tochter-Beziehung hätte neben dem Thema Ehekrise in den Wechseljahren ausreichend Stoff für einen Roman geboten.
Aber Dana Spiotta will mehr. Neben harscher Kritik am amerikanischen Körperkult und an der Polizeigewalt gegen farbige Jugendliche erfindet die Autorin auch noch die Geschichte einer frühen Feministin aus dem 19.Jahrhundert in Form fiktiver Briefe. Schade, dass sich die Autorin nach einem vielversprechenden Anfang zunehmend verzettelt. Ob Sam sich ihr neues Leben weiterhin von ihrem Ehemann finanzieren lässt, wüsste man gerne, aber dieser Handlungsfaden zerfasert.
"Unberechenbar" erscheint als erster Roman im neu gegründeten Münchener Kjona-Verlag, der sich "Entschleunigung, Empathiebildung und Aufklärung" auf die Fahnen geschrieben hat. "Aufklärung" findet sich inhaltlich am ehesten in Spiottas Roman, denn eine so scharfzüngige und amüsante Kritik am linksliberalen Amerika, das sich als das bessere definiert, hat man lange nicht gelesen.