Bora Chung, 1976 in Seoul geboren, kennt keine Genregrenzen. Ihre zehn Short Stories, mit denen sie im Jahr 2022 für den International Booker Prize nominiert war, weisen Science-Fiction-Elemente auf, spielen mit dem so genannten magischen Realismus, streifen den Horror, der aber plötzlich in blanken Realismus umschlagen kann.
Die Auftakterzählung beispielsweise trägt den Titel „Der Kopf“ und beginnt so: „Gerade wollte sie die Toilettenspülung betätigen. »Mutter.« Sie drehte sich um. Aus der Kloschüssel ragte ein Kopf und rief nach ihr. »Mutter.« Die Frau sah ihn kurz an. Dann spülte sie. Der Kopf verschwand unter einem Wasserschwall. Die Frau verließ das Badezimmer.“ Wenige Tage später tritt das Phänomen wieder auf, doch nun heißt es plötzlich, dass das Ding da in der Schüssel gar kein richtiger Kopf sei, sondern eher eine nachlässig zusammengeklatschte Masse ohne Ohren. Was skurril beginnt, weitet sich zu einem gravierenden Problem aus.
Jede der Geschichten weitet sich ins Soziale; viele haben mit Körperlichkeit, mit Ekel, Angst und Scham zu tun. So auch in der Geschichte „Monatsblutung“, in der eine Frau seit mehr als zwanzig Tagen menstruiert, bis sie endlich zum Arzt geht, der ihr aber mitteilt, er könne nichts Ungewöhnliches entdecken. Er verschreibt ihr die Antibabypille. Kurz darauf ist die junge Frau schwanger – eine Nebenwirkung des Medikaments, denn Kontakt mit einem Mann hatte sie nicht. Bora Chung thematisiert die Zumutungen des modernen, hochdrehenden Alltags und steigert sie ins Groteske, Monströse, Absurde.