Keinesfalls sollte man sich von diesem in gedeckt-harmonischen Farben gehaltenen Cover mit der Schreibschrift darauf täuschen lassen: Die Schottin Ali Smith schreibt keine Wohlfühlbücher und hat auch keinen Hang zur Verklärung. Im Gegenteil: Ihre Romane sind kluge und komplexe Erzählungen, die mitten in unsere Gegenwart hineinführen. Im vergangenen Jahr erschien „Herbst“, Teil eins von Smiths Jahreszeiten-Zyklus, in deutscher Übersetzung. Darin zeigte Smith anhand zweier Hauptfiguren mit unterschiedlichem Erfahrungshorizont die Abschottung und Vereinzelung von Individuen vor dem Hintergrund des Brexit-Referendums.
Nun also „Winter“. Heimelig oder gar gemütlich geht es hier ganz und gar nicht zu. Das wird schon auf der ersten Seite deutlich, in der die Erzählstimme aufzählt, wer oder was alles tot ist. Zum Beispiel: Gott (versteht sich!), Poesie und Kunst, Anstand, die Werte der Familie, Marxismus, aber auch Feminismus, die Medien, die Liebe. Was nicht tot ist: der Hass. Das muss gesagt werden, bevor Smith ihre vier Hauptfiguren zu einem verregneten Weihnachtsfest in Cornwall zusammenkommen lässt. Dort, auf einem riesigen, kalten Anwesen, lebt Sophia. Ihr Sohn Arthur kommt zu Besuch und bringt Lux mit, eine kroatische Austauschstudentin, die seine Freundin spielt, weil Arthur kurz zuvor von Charlotte verlassen wurde. Arthurs Tante Iris, Beufsaktivistin in allen Bereichen, und das seit Jahrzehnten, komplettiert das Quartett.
Es geht um Kleinigkeiten, unterschiedliche Perspektiven auf die Politik, um Feindseligkeiten und um die Unfähigkeit sich zuzuhören. Die Gräben in dieser Familie stehen paradigmatisch für den Riss, der Großbritannien durchzieht.