Wie kam es zu dem internationalen Netzwerk kleptokratischer Autokratien, die heute die freiheitliche westliche Weltordnung untergraben? Diese Frage stellt sich die Historikerin Anne Applebaum in ihrem fesselnden Buch „Die Achse der Autokraten“.
„Die Achse der Autokraten“: Das weckt Assoziationen an die Achsenmächte des Zweiten Weltkrieges, die nicht nur militärisch kooperierten, sondern durch eine faschistische Ideologie verbunden waren. Demgegenüber sind die Bündnisse, die heute die Autokratien von Russland, China, Iran, Nordkorea, Syrien usw. miteinander eingehen, schreibt Applebaum, rein pragmatischer Natur: Vereint seien sie in ihrem gemeinsamen Widerstand gegen die westlich-liberale Weltordnung.
Kooperation: Ideologische Unterschiede sind kein Hindernis
Ideologische Unterschiede etwa zwischen dem iranischen Mullah-System, der Diktatur Putins und dem kommunistischen Nordkorea hielten die autokratischen Länder nicht davon ab, miteinander militärisch und politisch zu kooperieren.
Vereint im Hass auf die Demokratie
Verbindend sei ihr „Hass auf die Demokratie“, die Verachtung des Völkerrechts und die Bereitschaft, skrupellos Gewalt einzusetzen, um sich an der Macht zu halten. Besser als der Begriff der „Achse“ passt Applebaums Beschreibung der neuen globalen Bündnisse als internationale „Netzwerke“, die sich im Interesse kleptokratischer Bereicherung und geopolitischer Machtausübung gegenseitig stützen.
Unaufhaltsamer Siegeszug der liberalen Demokratien
Aber wie kam es zu diesen autokratischen Netzwerken? Applebaum macht dafür die westlichen Länder selbst mitverantwortlich, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Weltordnung des Kalten Krieges nicht nur der Illusion vom „Ende der Geschichte“, das heißt dem unaufhaltsamen Siegeszug der liberalen Demokratien anhingen. Darüber hinaus ermöglichte das neoliberale Wirtschaftssystem den Autokratien, ihre krummen Geschäfte im globalen Maßstab abzuwickeln:
Weit verzweigte Netzwerke internationaler Autokratien
Anne Applebaum belegt diese Diagnose mit einer Vielzahl von Beispielen, indem sie etwa beschreibt, wie russische Oligarchen mit Hilfe westlicher Banken und einem System von Briefkastenfirmen ihren gestohlenen Reichtum sicherten. Oder indem sie zeigt, wie die korrupte Elite Venezuelas die Gewinne aus der Ölwirtschaft in ihre eigenen Taschen leitete, dabei tatkräftig gefördert nicht nur durch die westliche Finanzindustrie, sondern durch andere autokratische Länder wie zum Beispiel Iran oder Russland, eben jener internationalen Netzwerke, die die regelbasierte Weltordnung untergraben.
Detailliert schildert Applebaum den hierzulande wenig bekannten Fall von Simbabwe, dessen despotisches Regime sich mit Hilfe russischer Kampfjets und chinesischer Überwachungstechnologie an der Macht hält und sich dafür revanchiert, indem es seinen Helfershelfern Schürfrechte an Bodenschätzen und diplomatische Unterstützung zum Beispiel für Russlands Krieg gegen die Ukraine gewährt. Auch der Kooperation der Autokratien bei der Herstellung und Verbreitung von antidemokratischer Propaganda und Fakenews widmet Applebaum ein ganzes Kapitel ihres fesselnden Buchs.
Mahnung an Deutschland: Keine Geschäfte mit Autokratien!
Ihre Darstellung überzeugt dabei immer durch die Verbindung von Analyse und Anschaulichkeit. Ihre engagierte Beschreibung der neuen Weltunordnung, in der Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte durch die Netzwerke der Autokratien zerstört zu werden drohen, führt zur nachvollziehbaren Forderung nach einer „internationalen Allianz“ demokratischer Staaten und einem „internationalen Antikorruptionsbündnis“, das durch entschiedene Gesetzgebung die „Transparenz des Finanzwesens“ wiederherstellen soll.
Staatliche und zivilgesellschaftliche Initiativen sollen außerdem die Verbreitung von Propaganda und Fakenews durch die Regulierung sozialer Medien verhindern. Ob all diese nicht-militärischen Maßnahmen ausreichen, um die freiheitliche Weltordnung erfolgreich gegen den Angriff der Autokratien zu verteidigen, bleibt eine offene Frage.
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