Susanne Kaiser aus Speyer war eines der Kinder, das unter den Nationalsozialisten als „Rheinlandbastard“ beschimpft wurde, weil sie ein uneheliches Kind war und einen Vater mit marokkanischen Wurzeln hatte.
Mit 15 Jahren wurde sie 1937 im Krankenhaus Ludwigshafen gegen ihren Willen von den Nazis sterilisiert. Die Zustimmung der Mutter wurde eingeholt, indem man ihr mit einer Einweisung in ein Konzentrationslager drohte.
Nur wenige waren in die Machenschaften eingeweiht. Nach dem Krankenhausaufenthalt war auf der Bescheinigung des Kindes lediglich vermerkt: „geheilt entlassen“.
Diskriminiert, sterilisiert und verhaftet
Auch im späteren Leben wird Susanne Kaiser diskriminiert, darf keinen deutschen Mann heiraten oder ein Verhältnis zu Zwangsarbeitern eingehen.
1943 wird ihr schließlich eine Beziehung zu einem belgischen Zwangsarbeiter zum Verhängnis – sie kommt sieben Monate ins Gefängnis, ihr Freund wird in ein Straflager versetzt.
Diskriminiert und zwangssterilisiert: Das Schicksal der sogenannten „Rheinlandbastarde“
Nach Ende des Naziregimes heiratete sie einen ehemaligen französischen Zwangsarbeiter und zog mit ihm in seine Heimat. 1960 kehrten sie nach Speyer zurück, 2010 starb Susanne Kaiser.
Zeit ihres Lebens litt sie massiv unter diesem Verbrechen, das ebenso mehreren hundert Kindern Schwarzer Soldaten französischer Besatzungstruppen widerfahren war.
Rheinlandbesetzung (1918-1930) nach dem Ersten Weltkrieg
Nach Ende des Ersten Weltkriegs (1914-1918) besetzten französische Truppen das Rheinland, um Frankreich Sicherheit vor einem erneuten deutschen Angriff zu verschaffen und die Gewissheit zu haben, dass das Deutsche Reich seinen Reparationsverpflichtungen nachkommt.
Einige der dort stationierten Soldaten stammten aus Frankreichs Kolonialreich, etwa aus Nord- und Westafrika, Madagaskar oder Indochina.
Da das Deutsche Reich die ihm im Versailler Vertrag (1919) und im Protokoll zu Spa auferlegten Verpflichtungen nur schleppend erfüllte und es zu Verzögerungen bei Demilitarisierung und Kohlelieferungen kam, erhöhte Frankreich 1923 die Besatzung im Rheinland auf etwa 100.000. Laut der Mainzer Ethnologin Anna-Maria Brandstetter machten die französischen Soldaten in Mainz etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung aus.
Beziehungen deutscher Frauen und afrikanischer Männer
Immer wieder gab es Beziehungen zwischen deutschen Frauen und afrikanischen Männern. Die Frauen und Kinder aus diesen Verbindungen wurden geächtet, besonders nach 1920 und während des Nationalsozialismus.
Zu Zeiten der Weimarer Republik (1919-1933) nahm die Deutschvölkische Freiheitspartei, eine wichtige Vorläuferorganisation der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), die Schwarzen Soldaten in ihre antifranzösische Propaganda auf und prägte das Wortgefüge „Schwarze Schmach“.
Als Anlass nahmen sie den 6. April 1920, als marokkanische Soldaten unter französischer Flagge während des Einmarsches in Frankfurt, Darmstadt und Hanau in eine Menschenmenge feuerten und mehrere Menschen ums Leben kamen.
Geschätzte 400 bis 800 Zwangssterilisationen
Gegen Ende der 1930er-Jahre soll es laut Historikern infolgedessen zu rund 400 Zwangssterilisationen gekommen sein, manche gehen sogar von der doppelten Anzahl an Betroffenen aus.
Der Befehl dazu soll 1937 streng geheim direkt von Adolf Hitler gekommen sein. Auf Grundlage des „Führerbefehls“ habe der Reichsminister des Innern dann die Zwangssterilisation im Rahmen einer verborgenen Sonderaktion der Gestapo angeordnet.
Von den Kindern wurden Gutachten über die „rassische“ Zugehörigkeit angefertigt und Amtsärzte zur Beurteilung des geistigen und seelischen Zustands der „Besatzungsmischlinge“ beauftragt.
Sterilisation im Keller eines vergitterten Krankenzimmers
Im Rahmen eines Strafprozesses 1947 vor dem Saarbrücker Landgericht tauchte in den Prozessakten eine auszugsweise Abschrift eines Operationsbuches der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung des Bürgerhospitals Saarbrücken von 1937 auf, das Rückschlüsse auf das verächtliche Procedere gab.
In dem Buch wurden die Dauer des Eingriffs, Operateur und Operationstechnik sowie die Narkosemethode dokumentiert. Nachdem der „rassetypische“ Gesundheitscheck vollzogen war, wurden die Betroffenen mit einem Fahrzeug der Gestapo abgeholt und im Keller eines vergitterten Krankenzimmers, vor dem ein Kriminalbeamter Wache hielt, gegen ihren Willen sterilisiert.
Nazi-Verbrechen: Ärzte blieben teilweise straflos
Als den Ärzten von damals 1947 für Taten im Jahr 1937 der Prozess gemacht wurde, sollen diese keinerlei Unrechtsbewusstsein dafür gezeigt haben, dass gesunde Patientinnen und Patienten vorsätzlich operiert und damit an ihrer Gesundheit geschädigt wurden.
Obwohl die Zwangsterilisation nach dem damaligen Gesetz nicht zulässig, sondern rein „rassenhygienisch“ und „erbbiologisch“ begründet war, wurde das Verfahren entweder eingestellt oder die Angeklagten freigesprochen.
Grundlage des Prozesses war das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10) von 1945, das einerseits Rechtsgrundlage für die Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrechen sein sollte, andererseits dafür Sorge tragen sollte, dass deutsche Justizbehörden stärker an der Aufarbeitung NS-Unrechts beteiligt werden.
Die Mehrheit der Bevölkerung lehnte das Gesetz ab, da sie es für ein Instrument vermeintlicher alliierter „Siegerjustiz“ hielt.
1956 wurde das Gesetz abgeschafft, da davon ausgegangen wurde, dass das Deutsche Strafrecht eine ausreichende Grundlage zur Ahndung von NS-Verbrechen darstelle, was sich allerdings als Fehleinschätzung herausstellte: Die Urteilsbilanz fiel dürftig aus, viele Verbrechen unter den Nazis wurden nicht bestraft oder eher milde abgeurteilt.