Archivfund

Die Henkerin von Bad Waldsee – Ein grausiges Kapitel Stadtgeschichte

Stand
Autor/in
Marie-Dominique Wetzel

Im beschaulichen Bad Waldsee in Oberschwaben soll es die erste und einzige Henkerin Europas gegeben haben. Maria Anthonia Vollmer hat diesen „Beruf“ von ihrem Mann übernommen. Dieser war Henker in Bad Waldsee, wurde aber wegen zahlreicher Verbrechen 1772 selbst hingerichtet. Da niemand anderes für diesen „Job“ zur Verfügung stand, übernahm ihn eben seine Frau.

Audio herunterladen (4,1 MB | MP3)

Zufallsfund des Stadtarchivars

Es war ein Zufallsfund: Das Stadtarchiv in Bad Waldsee sichtet gerade seine historischen Bestände und ein fleißiger Heimatforscher fand einen Hinweis darauf, dass im 18. Jahrhundert eine Frau als Henkerin in Bad Waldsee eingestellt worden war. Ihr Name: Maria Anthonia Vollmer. Der Leiter des Stadtarchivs, Michael Wild, ging der Sache nach und fand heraus, dass sie die Ehefrau des städtischen Henkers war.

Allerdings fand sich in den alten Archivbeständen ein überraschendes Urteil von 1772 über ihn: „Ihr Mann wurde selber hingerichtet und deswegen vertritt sie ihn danach sozusagen. Sie versucht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, es findet sich kein anderer Henker und da ist man pragmatisch und sie macht den Job.“

Stadtarchiv Bad Waldsee
Michael Wild, Stadtarchivar von Bad Waldsee, hat die spannende Geschichte der ersten europäischen Henkerin aus Bad Waldsee entdeckt. Im Instragram-Format „My Hidden History“ von SWR Kultur berichtet er als Community-Reporter über seinen Archivfund.

Dass der „Beruf“ des Henkers innerhalb einer Familie sozusagen „weitervererbt“ wurde, war damals üblich. Denn die Henker waren sozial geächtet, den Söhnen aus solchen Familien blieb also nichts anderes übrig als auch Henker zu werden. Die Städte wollten zwar alle eigene Henker und Scharfrichter in ihren Diensten haben, um sich als Ort der hohen Gerichtsbarkeit profilieren zu können, aber mit den Henkern selbst wollte niemand etwas zu tun haben, erklärt Michael Wild: 

Der Beruf des Henkers oder der Henkerin ist ganz stark stigmatisiert. Wer das Amt einmal macht, kommt aus diesem Job nie wieder raus. Und teilweise muss man jemanden dazu zwingen, Henker zu werden, weil das so unbeliebt ist.

Michael Wild stellt in „My Hidden History“ die Geschichte der Henkerin von Bad Waldsee vor:

Ausgrenzung führt zur Entstehung von Henker-Dynastien

So entstanden beispielsweise in Oberschwaben ganze Henker-Dynastien, die untereinander alle verwandt waren. Was oft zu grausigen Situationen führte. So wurde der Ehemann der Henkerin von Bad Waldsee, der – wie bereits erwähnt – wegen zahlreicher Verbrechen zum Tode verurteilt worden war, von seinem eigenen Bruder hingerichtet, der in der Nachbarstadt als Henker angestellt war.

Im „Museum im Kornhaus“ in Bad Waldsee gibt es noch einige grausige Objekte aus dieser Zeit: drei Scharfrichterschwerter mit aufwendigen Gravuren, ein Hinrichtungskreuz auf dem die Verurteilten „gerädert“ wurden – und das Gebetsbuch der Henkerin Maria Anthonia Vollmer. Der bisher einzigen bekannten Frau in diesem „Beruf“.

Stadtarchiv Bad Waldsee
Im „Museum im Kornhaus“ in Bad Waldsee gibt es Objekte aus der Zeit der Henkerin: drei Scharfrichterschwerter, ein Hinrichtungskreuz auf dem die Verurteilten „gerädert“ wurden – und das Gebetsbuch von Maria Anthonia Vollmer.

Wir wissen von keiner anderen Henkerin aus Europa.

Henker arbeiteten auch als Abdecker oder Heiler

Die Henkersfamilien in so kleinen Städten wie Bad Waldsee hatten aber nicht allzu viele Hinrichtungen auszuführen. Deswegen mussten sie sich noch zusätzliche Arbeit suchen. Sie arbeiteten oft als Abdecker – oder auch als Wundärzte und Heiler. Das mag auf den ersten Blick verwundern, ist aber einfach zu erklären, sagt der Historiker Michael Wild.

Denn einerseits hatten die Henker durch die Folterungen und „Leibesstrafen“, die sie durchführen mussten, ein gewisses Maß an anatomischen Kenntnissen und andererseits stellten sie oft Salben her, aus den Tierkadavern, die sie als Abdecker beseitigen mussten.

Michael Wild, der Stadtarchivar aus Bad Waldsee, forscht weiter. Auch wenn es schönere Kapitel aus der Stadtgeschichte gibt: anhand der Geschichte der ersten und einzigen Henkerin lässt sich Vieles über die Gesellschaft und das Leben im 18. Jahrhundert erfahren. Und: Die Aufmerksamkeit ist ihm mit dieser Geschichte auf jeden Fall sicher.

Mehr zu „My Hidden History“

Netzkultur Regionalgeschichte jung erzählt – Eine Community Reporterin über das neue SWR Kultur Format „My Hidden History“

Der Südwesten ist reich an Geschichte und Geschichten. Im Großen, aber auch im Kleinen. Das neue SWR Kultur Instagram-Format „My Hidden History“ präsentiert Spannendes und Kurioses. Zeitgemäß in kurzen Filmen erzählt von jungen Community Reporterinnen und Reportern für alle, die Interesse an Regionalgeschichte haben. Eine dieser Reporterinnen ist die 24-jährige Amanda aus Mannheim, die sich mit der afroamerikanischen Journalistin Mabel Grammer beschäftigt hat.

SWR2 am Samstagnachmittag SWR2

Gespräch „Gefangen in Diez“ – Wie ein Grafenschloss zum Zuchthaus wurde

Es ist eine ungewöhnliche Umnutzung: Ab 1785 diente das leerstehende Grafenschloss in Diez rund 140 Jahre lang als Gefängnis. Nun zeigt die Ausstellung „Gefangen in Diez“ die wechselvolle Geschichte des Schlosses.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Mehr Instagram-Formate von SWR Kultur

Offenburg

Instagram-Format „Art Spotting“ – Mit Instagram in Stefan Strumbels neuem Atelier in Offenburg

Im neuen Instagram-Format Art Spotting von SWR Kultur stellt Moderatorin Lena Nagel jede Woche einen Ort im Südwesten vor, an dem es besondere Kunst-Highlights zu entdecken gibt, so zum Beispiel das neue Atelier des Schwarzwald-Künstlers Stefan Strumbel in Offenburg

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Neues Format Art & Weise Große Brüste, kleiner Kopf: Niki de Saint Phalles Nanas hinterfragen das Frauenbild

Was sehen Museumsbesuchende, wenn sie einer Nana-Figur von Niki de Saint Phalle gegenüberstehen? Welche Gedanken kommen vor einem Jackson Pollock auf? „Art & Weise“ fragt nach, ordnet ein und macht vor allem Lust auf Kunst.

Mehr Geschichte

Politik Wie Kriege beendet werden – Vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch

Ukraine, Gaza, Jemen, Syrien – die Liste aktueller Kriege ist lang. Wie lassen sie sich beenden? Die Geschichte zeigt: Für dauerhaften Frieden braucht es viele Faktoren. Von Bartholomäus Laffert (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/kriege-beenden | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen

Das Wissen SWR Kultur

Stand
Autor/in
Marie-Dominique Wetzel