Gespräch

Autorin Sarah Stricker über das Leben in Israel: Die Kulturszene ist zum Erliegen gekommen

Stand
INTERVIEW
Philine Sauvageot

Mit ihrem Debüt-Roman „Fünf Kopeken“, einer Familienchronik, wurde Sarah Stricker 2013 bekannt. Die Autorin wurde 1980 in Speyer geboren und wuchs in der Pfalz auf. Seit 2009 lebt sie in Israel und schreibt unter anderem für verschiedene Medien. In SWR2 erzählt sie von ihrem derzeitigen Leben im Krieg.

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Der Krieg lähmt die Schreibenden

Von anderen Schriftstellerinnen und Autoren hat Sarah Stricker erfahren, dass der aktuelle Krieg lähmend wirke, alle sagten, sie seien im Moment nicht in der Lage, zu schreiben. Es gebe aber derzeit in Israel eine große Bereitschaft, sich freiwillig zu engagieren, zum Beispiel mit Lesungen in Altersheimen. „Es gibt dort viele Holocaustüberlebende, die jetzt retraumatisiert sind und ein wenig Abwechslung brauchen“, so Stricker. Komiker führen zu Militärstützpunkten, um dort die Soldaten abzulenken. Dagegen sei die normale Kulturszene zum Erliegen gekommen.

Enttäuschung über Reaktionen aus Deutschland

Neben den positiven Bildern der Unterstützung habe man in Israel auch die Bilder pro-palästinensischer Aktionen gesehen. Der offene Antisemitismus sei für sie besonders schwer zu ertragen, sagt Stricker. Sie erfahre als Deutsche in Israel viel Freundschaft, viele Israelis hätten ein positives Deutschlandbild.

Fast täglich Raketenangriffe

Viele israelische Bürger in Tel Aviv haben in ihren Wohnungen kleine Bunker eingerichtet, auch Sarah Stricker. Vor allem abends suche sie dort Schutz, um nicht auf der Straße von einem Raketenangriff überrascht zu werden, erzählt sie. Sie hoffe, dass es gelinge, die Hamas zu zerstören, aber das werde noch lange dauern.

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Die Feindseligkeit habe seit dem 7. Oktober, dem Tag an dem Hamas-Kämpfer in Israel mehr als 1400 Menschen getötet und mehr als 200 verschleppt haben, deutlich zugenommen, auch wenn jüdische Lebensrealität in Deutschland schon lange vorher "und eigentlich immer von Antisemitismus geprägt" gewesen sei.
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