„Wir trauern im Stillen“, rappt Ebow
„Wir fühlen das gleiche / doch trauern im Stillen“, singt die Rapperin Ebow in ihrem Song „Free“. Und weiter: „Wir leben hier / wo unsere Trauer nichts wert ist“. Gemeint ist die Trauer über das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza.
„Wir sind wütend und traurig, aber diese Wut und Trauer hat in Deutschland keinen Platz“, kritisiert die Berlinerin mit kurdischen Wurzeln im Gespräch mit SWR Kultur.
„Angst etwas Falsches zu sagen“
Auf Spotify hat „Free“ knapp 188.000 Streams. Ebru Düzgün, wie Ebow bürgerlich heißt, glaubt einen wunden Punkt getroffen zu haben: „Die Leute haben Angst, überhaupt in Gespräche zu gehen und etwas Falsches zu sagen. So verlieren wir Leute und sie rutschen in extreme Richtungen.“
Erst wenn es offene Räume für Austausch gebe, könne man zum Beispiel lernen, dass man Regierungen kritisieren, aber einem Land wie Israel nicht das Existenzrecht absprechen darf.
„Die Räume sind sehr wohl da“
Die Politikwissenschaftlerin Saba-Nur Cheema widerspricht: Man könne sich natürlich privat treffen und gemeinsam trauern. Aber auch im Kunst- und Kulturbereich seien viele Räume entstanden.
Ein Beispiel: In der Reihe „Gaza Talks“ am Berliner Ensemble diskutiert die deutsch-palästinensische Journalistin Alena Jabrine mit ihren Gästen, was am 7. Oktober 2023 geschah und was bis heute tagtäglich in Gaza geschieht.
Freie, aber auch problematische Äußerungen auf den Straßen
Besonders in Berlin kam es bei pro-palästinensischen Demos wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten. Auch die Protestcamps an den Universitäten müsse man differenziert betrachten, so Cheema: „Es gab teilweise polizeiliche Räumungen, aber auch antisemitische und hamas-relativierende Aussagen.“
In der FAZ schilderte Cheema ihre Eindrücke vom Camp an der Frankfurter Goethe-Universität. Statt vom Hamas-Terror sei von „bewaffnetem Widerstand“ die Rede gewesen. Es sei erklärt worden, dass der Staat Israel niemals hätte gegründet werden dürfen. Cheema kam zu dem Schluss: „Sie wollen sieben Millionen Israelis aus ihrer Heimat werfen.“
Politik Antisemitismus in der deutschen Linken – Unterschätzter Judenhass
Der Antisemitismus-Skandal auf der documenta zeigt einmal mehr: es gibt Judenhass auch im politisch linken Milieu. Dieser Antisemitismus wurde bisher kaum beachtet oder aufgearbeitet.
Woher kommt dann das Gefühl, sich zu Gaza nicht äußern zu dürfen?
Tatsächlich lud die Uni Köln die Philosophin Nancy Fraser aus – nach deren Boykottaufruf gegen kulturelle Einrichtungen in Israel. Die Autorin Masha Gessen bekam den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken in kleinerem Rahmen als ursprünglich geplant. Sie soll die Situation in Gaza mit jüdischen Ghettos verglichen haben.
Die Philosophin Judith Butler behält letztlich den Adorno-Preis trotz öffentlicher Kritik. Sie hatte den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober als „Akt des bewaffneten Widerstands“ bezeichnet, der „keine antisemitische Attacke“ sei.
Haltungen auf beiden Seiten festgefahren
Beispiele gibt es viele. So könnte man auch die Verschiebung der Verleihung des LiBeraturpreises an die Autorin Adania Shiblis anführen. Cheema bestätigt: „Es gibt Vorfälle, die belegen, dass pro-palästinensische Stimmen kein Gehör finden und Veranstaltungen abgesagt werden.“
Aber: „Wir haben auf beiden Seiten diese festgefahrene Situation.“ Gerade in der links geprägten Kulturszene nehme man den Nahostkonflikt einseitig wahr. „Die Tendenz ist eher auf der Seite der Palästinenser zu stehen.“ Aus der post-kolonialen Kritik sei eine israel-kritische, wenn nicht anti-israelische Haltung entstanden.
Musikszene auf einem Auge blind?
Das Gegenteil, nämlich dass man in Deutschland das Leiden der Palästinenser ausblende, sieht die Rapperin Ebow in einem viel diskutierten Song der Hip-Hop-Band Antilopengang bestätigt. In „Oktober in Europa“ prangern die drei Künstler den seit dem 7. Oktober gestiegenen Antisemitismus an.
Der Song sei spalterisch, meint Ebow. Schließlich steige auch der antimuslimische Rassismus. „Es ist gerade so angespannt. Das zu ignorieren und sich auf eine Seite zu stürzen, ist Quatsch.“ Die Musikindustrie blende das ganze Thema komplett aus, „vor allem, wenn wir uns anschauen, wer in den Charts ist.“
Wie finden die widerstreitenden Parteien wieder zueinander?
Etwas, das vielen schwer zu fallen scheint: Mitgefühl für beide Seiten aufbringen und differenzieren. In ihrem Song „Free“ tut Ebow aber genau das. Sie bringt den Schmerz der Palästinenser und der Juden zur Sprache.
„Die selektive Empathie muss nicht sein“
Für Cheema lautet die wichtigste Frage, die sich jeder stellen sollte: „Möchte ich aus der Komfortzone raus?“ Gerade auf Social Media bestehe die Gefahr, nur die Perspektive der einen Seite zu sehen. Man müsse schon aktiv andere Kanäle abonnieren, um ein ausgewogenes Bild zu bekommen.
„Die selektive Empathie muss überhaupt nicht sein. Es ist möglich, den 7. Oktober aufs Schärfste zu verurteilen und zu sagen, das Töten der Zivilbevölkerung in Gaza muss aufhören.“
Was helfen würde, wäre Menschlichkeit
„Vergiss nicht: Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Mütter.“ So überschrieb die israelische Dramatikerin Maya Arad Yasur ihren Text unmittelbar nach dem 7. Oktober.
In der Regie von Sapir Heller heißt das Stück, das schon an mehreren deutschsprachigen Theatern in immer unterschiedlicher Besetzung zu sehen war, passenderweise: „Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten“.