Das Tübinger Antiquariat Heckenhauer existiert seit rund 200 Jahren, es ist eines der ältesten in Deutschland. Im historischen Stammsitz am Tübinger Marktplatz werden schon seit dem 16. Jahrhundert Drucksachen gehandelt, und auch der junge Hermann Hesse hat hier Spuren hinterlassen.
Multi-Tasking-Selbständiger im Kultursektor
Im Tübinger Antiquariat Heckenhauer ist die Uhr stehen geblieben: Es ist eine schöne mechanische Wanduhr mit holzgefasstem Zifferblatt. Und ihr Stillstand hat nichts mit Nostalgie zu tun, eher mit dem Gegenteil. Inhaber Roger Sonnewald kommt einfach nicht dazu, die Uhr in seinem Laden regelmäßig aufzuziehen.
Sonnewald ist ein Multi-Tasking-Selbständiger im Kultursektor, permanent unterwegs zwischen mehreren Standorten und Branchen: als Verleger, Buchhändler, Antiquar und Galerist.
„Ich habe im Jahr 2000 in Berlin eine Galeriefiliale gegründet, dann auch in Berlin gelebt. Dann war ich teilweise in Brüssel ansässig, jetzt bin ich in München, aber Tübingen bleibt bestehen“, sagt er.
Die Geschichte dringt förmlich aus allen Ritzen
Der Tübinger Betrieb Heckenhauer besteht seit 1823. Roger Sonnewald ist Verleger und Buchhändler in der sechsten Generation. Als Ahnenreihe ist das schon einigermaßen Ehrfurcht einflößend – aber noch rein gar nichts im Vergleich zur Historie des Gebäudes, in dem Heckenhauer residiert. Am Holzmarkt mitten in der Tübinger Altstadt.
Sonnewalds Ladengeschäft liegt am Ende eines schmalen, langen Flurs tief im Inneren des Hauses. Der imposante Fachwerkbau beherbergt seit Jahrhunderten Menschen, Werkstätten und Geschäftsräume und hat in all der Zeit eine immaterielle Substanz gespeichert, die förmlich aus allen Ritzen dringt.
Hier war eine nie abreißende Folge großer Geister zugegen, in deren Dunstkreis sich bis vor wenigen Jahren Schachspieler und gelehrte Disputanten zu Stelldicheins trafen, bei denen normale Kunden mit ihren profanen Kaufwünschen fast schon störten.
Hermann Hesse ging hier zur Lehre
Vielleicht war es diese Atmosphäre, die im Jahr 1895 auch den jungen Hermann Hesse angezogen hat, der eine Lehrstelle als Buchhändler suchte. Es andernorts manchmal nur wenige Tage aushielt, hier bei Heckenhauer aber drei Jahre blieb und sogar verlängerte.
„Die Dielen könnten auch Geschichten erzählen. Hesse ist bestimmt hier auch drübergelaufen und hin und her und hat ja in diesem mehrstöckigen Lager hier die Bücher raussortieren müssen, einsortieren müssen“, erzählt Roger Sonnewald.
Hermann Hesses Zeugnis hängt im Treppenhaus, direkt daneben geht es in eine Kabinett-Ausstellung über den berühmtesten Lehrjungen des Hauses – mit Raritäten wie seiner postalischen Krankmeldung in Folge heftiger Zecherei bei einem Schwarzwald-Ausflug.
Viele junge Kunden
Die Kundschaft geht Sonnewald bis heute nicht aus. Verblüffend ist dabei, wie viele junge Kunden sich für anspruchsvolle historische Titel interessieren. „Ich habe gerade heute ein sehr schönes altes Buch verschickt aus dem 16. Jahrhundert, in Basel gedruckt, ein Homer-Text. Und ich habe einen sehr jungen Kunden, der Mitte 20 ist und sich riesig darüber freut, in Kürze dieses Buch in Händen zu haben“, sagt er.
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Gespräch Die Übersetzerin Susanne Klingenstein über die Renaissance der jiddischen Literatur
Jiddische Literatur war bei uns lange vergessen. Im Holocaust starben nicht nur Millionen Menschen, sondern auch weite Teile einer alten Kultur. Jetzt aber erlebt die jiddische Literatur in Deutschland eine zarte Renaissance. Meisterwerke des 19. und 20. Jahrhunderts werden erstmals übersetzt.
Sehr aktiv ist die Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein. Sie hat Scholem Jankew Abramowitsch und Chaim Grade ins Deutsche übersetzt. Inzwischen arbeitet sie an einer Kulturgeschichte der jiddischen Literatur. Susanne Klingenstein ist aus Boston zum Gespräch zugeschaltet.
Die Liste der besprochenen Bücher:
* Susanne Klingenstein: „Mendele der Buchhändler“, Harrassowitz.
* Scholem Jankew Abramowitsch: „Die Reisen Benjamins des Dritten“. Übersetzt von Susanne Klingenstein. Hanser.
* Chaim Grade: „Von Frauen und Rabbinern“. Übersetzt von Susanne Klingenstein. Die Andere Bibliothek.
Diese beiden Romane empfiehlt Susanne Klingenstein zur Lektüre:
Der Nister: „Die Brüder Maschber“. Übersetzt von Hans-Joachim Maass. Propyläen & Zweitausendeins. (Nur noch antiquarisch erhältlich)
Moische Kulbak: „Die Selmenianer“. Übersetzt von Esther Alexander-Ihme und Niki Graça. Die Andere Bibliothek.