Flair von großer, weiter Welt

Ein Plakat für zehn Sack Zement: Meisterhafte Werbezeichnungen in Kornwestheim

Stand
Autor/in
Andreas Langen
Andreas Langen, Autor und Redakteur, SWR Kultur

Das Stadtmuseum Kornwestheim zeigt Werbezeichnungen und -grafiken von drei herausragenden Künstlern der 1940er bis 1960er Jahre: Franz Weiss, Lilo Rasch-Nägele und Otto Glaser. Ihre Selbsteinschätzungen waren skurril: Glaser beschriftete seine Originale oft als „Wertlose Drucksache“.

Harmonische Werbewelt von Salamander

Im Stadtmuseum von Kornwestheim findet man eine seltsam heile Welt vor. Von den Wänden lächeln propere Kinder, glückliche Paare, elegante Damen und Herren.

Es handelt sich um Zeichnungen und Werbegrafiken von drei herausragenden Künstlern, die in den 40er bis 60er-Jahren für große Marken gearbeitet haben, vor allem für den Kornwestheimer Schuh-Platzhirsch Salamander.

Franz Weiss, Gärtnerin, Werbeplakat für Salamander, 1953
Franz Weiss, Gärtnerin, Werbeplakat für Salamander, 1953. Bild in Detailansicht öffnen
Franz Weiss, Balkon, Werbeplakat für Salamander, 1952
Franz Weiss, Balkon, Werbeplakat für Salamander, 1952. Bild in Detailansicht öffnen
Otto Glaser, Dame mit blauem Schal, Werbegrafik Salamander, 1960er
Otto Glaser, Dame mit blauem Schal, Werbegrafik Salamander, 1960er. Bild in Detailansicht öffnen
Lilo Rasch-Naegele, Frühlingsspaziergang, Originalentwurf, Salamander-Werbung, um 1960
Lilo Rasch-Naegele, Frühlingsspaziergang, Originalentwurf, Salamander-Werbung, um 1960. Bild in Detailansicht öffnen

Die zuckersüße Harmonie dieser Werbewelt ist so etwas wie die spiegelverkehrte Gegenseite der Nachkriegs-Realität. Der Illustrator Franz Weiss hat die Sehnsüchte dieser Notjahre geradezu surreal bebildert.

„Es gibt den Schuhbaum, da wachsen Schuhe auf den Bäumen und entstehen aus Samen von der Wiese“, erklärt Kunsthistorikerin Ruth Kappel. Es geht um den Traum der Menschen, wieder Schuhe en masse zu haben, und nicht nur das eine Paar, das man gerade an den Füßen trägt, das fast auseinanderfällt.

Als gebürtige Kornwestheimerin kennt sie die große Schuhmarke aus der Nachbarschaft von Kindesbeinen an. Kappel erinnert sich auch noch an eine Besonderheit, für die Salamander sein Sortiment besonders gerüstet hatte.


Drei Schuhe für Kriegsversehrte

Ruth Kappels Vater war einer der vielen Veteranen, die im Krieg ein Bein verloren hatten. 

„Für Kriegsversehrte gab es die Möglichkeit, bei Salamander drei Schuhe zu kaufen. Prothesenträger haben immer einen Schuh mehr beschädigt als den anderen. So hatte man die Möglichkeit, bei Salamander zwei gleiche Schuhe und einen Dritten zu kaufen“, erläutert Ruth Kappel.


Versteckte Kritik am Nazi-Regime

Auch die Stuttgarter Grafikerin Lilo Rasch-Nägele war Zeitzeugin der Kriegsepoche, allerdings ganz anders als ihr Berufs-Kollege Franz Weiss, ein NSDAP-Mitglied und völkischer Maler.

Rasch-Nägele machte sich heimlich lustig über das Regime. Sie gehörte – als einzige Frau – zum Freundeskreis um Willi Baumeister, den die Nazis als verdächtig und entartet drangsalierten. 


Portrait Lilo Rasch-Naegele, um 1960
Portrait Lilo Rasch-Naegele, um 1960.


„Sie selber war eine sehr emanzipierte Frau, die rauchte, Hosen trug und kurze Haare hatte. Auf der anderen Seite hat sie ganz ätherische Wesen entworfen, auf dem Papier und hat sich in einer ganz anderen Welt bewegt“, schildert die Kunsthistorikerin Maria Christina Zopff.

Lilo Rasch-Naegele, Hemdröckchen Perlon, Originalentwurf für Schiesser, um 1960
Lilo Rasch-Naegele, Hemdröckchen Perlon, Originalentwurf für Schiesser, um 1960.

Die Zeichnungen von Lilo Rasch-Nägele sind souverän gestaltete Porträts und Körperdarstellungen, manchmal mit einem einzigen Pinselstrich aufs Papier gebracht.

Auch in der jungen Bundesrepublik kreierte sie Rollen-Bilder der hübschen, femininen Frau, die dem aus dem Krieg heimgekehrten Mann, ein wohnliches und modernes Heim herrichtet. Die Kunsthistorikerin Zopff nennt das „Neo-Rokoko“.

Lilo Rasch-Naegele, Frau am Steuer, Entwurfszeichnung für Mercedes-Benz, um 1957
Lilo Rasch-Naegele, Frau am Steuer, Entwurfszeichnung für Mercedes-Benz, um 1957.



„Das war ein Rückgriff auf eine Zeit, wo man versucht hat, wieder an die alte Ordnung anzuknüpfen, nach diesem verheerenden Zweiten Weltkrieg, nach diesem Frauenbild der Nationalsozialisten hin wieder zu einer Art Neo-Rokoko“, beschreibt Zopff.

Lilo Rasch-Naegele, Sitzende, Entwurf für Hudson, um 1960
Lilo Rasch-Naegele, Sitzende, Entwurf für Hudson, um 1960.


Mit so etwas musste sich der dritte Zeichner dieser Ausstellung nicht herumschlagen: der Schweizer Otto Glaser. Ein begnadeter Autodidakt, der ohne Vorskizze oder Modell zeichnete – ausschließlich nachts.

Zeichnungen entstanden in besonderer Umgebung

Denn tagsüber, erinnert sich sein Sohn Urs, war das Familienleben ein Taubenschlag, buchstäblich: „Wir hatten viele Tiere. Zwei Tukane, Eulen in der Voliere, einen Wollaffen, einen Esel und einen Taubenschlag.

Unglaublich, dass solche anspruchsvollen Bilder in dieser Umgebung entstanden sind.“ Die Glasers lebten in einem Tessiner Bergdorf, wo die Häuser weder Heizung noch fließendes Wasser hatten.

Otto Glaser, Paar mit Pechnelke, Salamander Werbung, 1957
Otto Glaser, Paar mit Pechnelke, Salamander Werbung, 1957.

Ein Flair von weiter, großer Welt

Dort zeichnete Otto Glaser Bilder moderner Zeitgenossen: junge, dynamische, elegante Damen und Herren mit einem Flair von weiter Welt. Umso verrückter, dass er seine sensationell locker getuschten Zeichnungen als wertlos empfand.


„Meine Mutter hat die immer mit einer Schnur um das Packpapier verpackt. Da stand drauf: Wertlose Drucksache. Mein Vater hatte auch seine Originale und seine Zeichnungen und Werbezeichnungen immer als wertlos betrachtet,“ erzählt Urs Glaser.

Otto Glaser, Dame mit maigrünem Schirm, Salamander Werbung, Originalentwurf, um 1960.
Otto Glaser, Dame mit maigrünem Schirm, Salamander Werbung, Originalentwurf, um 1960.


Erhalten geblieben sind diese wunderbaren Blätter nur, weil jemand in der Stuttgarter Druckerei sie nicht ins Altpapier steckte, sondern aufbewahrte.

Ruhm war egal, dem Urheber genügte das Honorar

Otto Glaser war es herzlich wurscht. Ihm genügte das Honorar – denn damit konnte er auf einem ganz anderen Gebiet schöpferisch tätig bleiben: dem Ausbau von Häusern für Eltern, Kind und Kegel.

Er hat immer gesagt: wenn ich ein Salamander-Plakat gemacht habe, dann kann ich zehn Säcke Zement kaufen.

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