Skulpturen aus Holz

„Bäume haben lange Gedanken“ – Holzbildhauer Edvardas Racevicius in Fellbach

Stand
Autor/in
Tobias Ignée
Tobias Ignée
Onlinefassung
Dominic Konrad

Inspiriert von der Ikonenmalerei seiner litauischen Heimat schafft der Holzbildhauer Edvardas Racevicius einen Kosmos, in dessen Mittelpunkt das Verhältnis zwischen Mensch und Baum steht. Das besondere an den Skulpturen ist, dass sie alle aus naturbelassenem Holz grob herausgeschnitzt werden. Fantasievolle Handwerkskunst, die anregt, sich auch über die eigene Beziehung zur Natur Gedanken zu machen.

Ausstellung: "Bäume haben lange Gedanken", Edvardas Racevicius in der Galerie der Stadt Fellbach
Oft gibt die Natur die Form vor, die die Männlein von Edvardas Racevicius annehmen. Der litauische Künstler bindet die natürlich gewachsenen Äste des ursprünglichen Astes in seine Skulpturen ein.

Racevicius' Skulpturen richten sich nach dem natürlichen Wuchs

Eine Figur steht auf einem kleinen Holzsockel. Es ist ein adrett gekleideter Mann mit schwarzer Hose, schwarzen Schuhen und weißem Hemd – der Greifswalder Bildhauer Stephan Balkenhol lässt grüßen. Mal schaut die Figur auf die Äste, die aus dem Stamm wachsen, mal wachsen sie ihr aus dem Gesicht oder aus dem Körper heraus.

Das Besondere daran: Alles wird aus einem Holzstück heraus geschnitzt, nichts wird im Nachhinein hinzugefügt. Form, Körperhaltung und Ausdruck der Figur werden also weitgehend von der Beschaffenheit des Holzstücks bestimmt, das dem Künstler die Richtung vorgibt, wie die Skulptur aussehen könnte.

Im Grunde genommen könne er gar nicht 100 Prozent gestalten, denn er sei auf das angewiesen, was der Baum ihm gebe, sagt Bildhauer Edvardas Racevicius: „Und dann ist das Wichtigste des ganzen Prozesses, dass ich, wenn ich auf das Holzstück schaue , irgendwie sehen muss, was drin ist. Manchmal kommt es relativ schnell, ich sehe ein Bild drin und ich habe auch ein Gefühl von dieser Figur, wie sie steht.“

Ausstellung: "Bäume haben lange Gedanken", Edvardas Racevicius in der Galerie der Stadt Fellbach
Immer wieder schnitzt Racevicius das gleiche Männlein in unterschiedlichen Positionen und mit unterschiedlichen Emitionen.

Figuren als „subjektive Selbstempfinden“ des Menschen

Meistens stehen Racevicius' Figuren aufrecht mit am Körper anliegenden Armen, was dem Format der bis zu 50 Zentimeter hohen und 20 Zentimeter dicken Stämme geschuldet ist. Der Holzkünstler schneidet sie aus nicht abgelagertem, sondern aus frischem Holz.

Ihr Gesichtsausdruck und die Körperhaltung variieren zwischen nachdenklich, verletzlich, unsicher, ratlos, aber auch stolz. Dass die Figuren alle gleich aussehen, hängt damit zusammen, dass der Künstler keine besonders hervorheben will.

 „Diese Figur verkörpert das subjektive Selbstempfinden jedes Menschen. Meine Figuren sind gleichzeitig wie ein Comic. Das ist ein Mensch in immer verschiedenen Situationen.“

Ausstellung: "Bäume haben lange Gedanken", Edvardas Racevicius in der Galerie der Stadt Fellbach
Die natürlichen Verästelungen des Holzes baut der litauische Künstler in seine Skulpturen ein. Sie werden zu Armen, Beinen oder anderweitigen Auswüchsen.

Inspiration aus der litauischen Ikonenschnitzerei

Die Arbeiten von Edvardas Racevicius tragen deshalb auch keine Titel. Denn er möchte nicht vorgeben, wie die Skulpturen zu interpretieren sind. Bevor sich der aus Litauen stammende Künstler, der seit Anfang 2000 in Greifswald lebt, intensiv mit der Holzbildhauerei beschäftigte, studierte er Theologie.

Seine Kunst ist inspiriert von der Ikonenschnitzerei seiner Heimat, den Sagen und Mythen und dem dort traditionell engen Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Der Baum gilt als vertikale Achse der Welt und Inkarnation der Seele. Doch dass dieses Verhältnis nicht nur von Harmonie geprägt ist, zeigen Skulpturen, bei denen die Figuren von Astbüscheln bis zur Unkenntlichkeit förmlich überwuchert werden.

An einer anderen Stelle sind es Späne, die aus einer Figur heraustreten. Sie sehen aus wie Pfeile und Messer, die den Menschen durchbohren. Doch als politischer Künstler will sich der zurückhaltende Künstler Racevicius nicht verstanden wissen.

Ausstellung: "Bäume haben lange Gedanken", Edvardas Racevicius in der Galerie der Stadt Fellbach
Späne, die wie Pfeile aus der Figur heraustreten, sind auch Teil von Racevicius' Werken.

Der Mensch im Austausch mit der Natur

Das sieht der Leiter der Galerie der Stadt Fellbach, Heribert Sautter, ganz anders: „Bis zu einem gewissen Grad versucht sich der Mensch von der Natur freizumachen, (...) auf der anderen hat es natürlich alles seine Grenzen. Spätestens dann, wenn die Natur zurückschlägt, weil der Mensch übertreibt. Das haben wir jetzt beim Klimawandel ja ganz deutlich gesehen, dass wir der Natur ausgeliefert sind.“ 

Ausstellung: "Bäume haben lange Gedanken", Edvardas Racevicius in der Galerie der Stadt Fellbach
Bis April sind die Figuren des in Greifswald lebenden Künstlers in der Galerie der Stadt Fellbach noch zu sehen.

Man kann die Skulpturen aber auch ganz anders deuten: der Mensch sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, er hat im wahrsten Sinne des Wortes ein Brett – oder besser einen Ast – vorm Kopf, seine Welt steht Kopf, oder er sollte sich einfach öfter in den Wald begeben und sich von der Kraft und Schönheit der Bäume beseelen zu lassen.

Filigran und akribisch arbeitet Racevicius mit dem Holz

Der Fantasie des Betrachters setzt die Kunst von Edvardas Racevicius keine Grenzen. Ganz abgesehen davon ist es einfach ein Vergnügen zu sehen, mit wie viel Handwerkskunst, Liebe zum Detail und Akribie der Künstler dem Holz zu Leibe rückt.

Ausstellung: "Bäume haben lange Gedanken", Edvardas Racevicius in der Galerie der Stadt Fellbach
Die filigranen Holzkunstwerke von Edvardas Racevicius erinnern mitunter an berühmte Werke der Vergangenheit, etwa die Darstellungen des Himmels in Gustave Dorés Zyklus über Dante Allighieris „Göttliche Komödie“.

Etwa wenn er mit dem Beitel filigrane Späne aus einer Platte herausschnitzt, die allein durch ihre Länge und die Richtung, in die sie gebogen sind, der Skulptur in der Mitte eine räumliche Tiefe und Plastizität verleihen, wie man sie sonst nur von der Malerei oder von der Fotografie her kennt.

Aktuelle Ausstellungen

Fluss der Superlative Steph Huang und der Rhein: Die Ausstellung „the water that bears the boat“ in Freiburg

Die Bildende Künstlerin Steph Huang ließ sich vom Rhein inspirieren: „The Water that bears the Boat“ in der Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk in Freiburg ist eine Hommage an den Fluss in all seiner Vielfalt.

SWR2 Journal am Mittag SWR2

Höhr-Grenzhausen

Besonderer Keramik-Schatz Keramikmuseum Westerwald erwirbt Jugendstil-Sammlung

Ein ganzer LKW voller Krüge, Dosen und Töpfe ist ins Keramikmuseum Westerwald in Höhr-Grenzhausen geliefert worden. Darin: Eine Sammlung von 1305 Jugendstil-Keramikstücken der Sammlerin Beate Dry-von Zezschwitz.

SWR2 am Morgen SWR2

HfG-Archiv Ulm Ausstellung in Ulm zum 80. Geburtstag von Hans Dieter Schaal

In seinen Bildern und Skizzen begibt sich Hans-Dieter Schaal auf eine spielerische Erkundung der gewohnten Umgebung. Mal tiefsinnig, mal liebevoll-humoristisch weitet der in Ulm geborene Künstler den Blick der Betrachtenden für die kleinen Geheimnisse des Alltags. Zu Ehren seines achtzigsten Geburtstages zeigt das Ulmer HfG-Archiv eine Ausstellung mit surrealistisch anmutenden Zeichnungen – rund um das Ulmer Münster und den Bodensee.

SWR2 am Morgen SWR2