Inspiriert von der Ikonenmalerei seiner litauischen Heimat schafft der Holzbildhauer Edvardas Racevicius einen Kosmos, in dessen Mittelpunkt das Verhältnis zwischen Mensch und Baum steht. Das besondere an den Skulpturen ist, dass sie alle aus naturbelassenem Holz grob herausgeschnitzt werden. Fantasievolle Handwerkskunst, die anregt, sich auch über die eigene Beziehung zur Natur Gedanken zu machen.
Racevicius' Skulpturen richten sich nach dem natürlichen Wuchs
Eine Figur steht auf einem kleinen Holzsockel. Es ist ein adrett gekleideter Mann mit schwarzer Hose, schwarzen Schuhen und weißem Hemd – der Greifswalder Bildhauer Stephan Balkenhol lässt grüßen. Mal schaut die Figur auf die Äste, die aus dem Stamm wachsen, mal wachsen sie ihr aus dem Gesicht oder aus dem Körper heraus.
Das Besondere daran: Alles wird aus einem Holzstück heraus geschnitzt, nichts wird im Nachhinein hinzugefügt. Form, Körperhaltung und Ausdruck der Figur werden also weitgehend von der Beschaffenheit des Holzstücks bestimmt, das dem Künstler die Richtung vorgibt, wie die Skulptur aussehen könnte.
Im Grunde genommen könne er gar nicht 100 Prozent gestalten, denn er sei auf das angewiesen, was der Baum ihm gebe, sagt Bildhauer Edvardas Racevicius: „Und dann ist das Wichtigste des ganzen Prozesses, dass ich, wenn ich auf das Holzstück schaue , irgendwie sehen muss, was drin ist. Manchmal kommt es relativ schnell, ich sehe ein Bild drin und ich habe auch ein Gefühl von dieser Figur, wie sie steht.“
Figuren als „subjektive Selbstempfinden“ des Menschen
Meistens stehen Racevicius' Figuren aufrecht mit am Körper anliegenden Armen, was dem Format der bis zu 50 Zentimeter hohen und 20 Zentimeter dicken Stämme geschuldet ist. Der Holzkünstler schneidet sie aus nicht abgelagertem, sondern aus frischem Holz.
Ihr Gesichtsausdruck und die Körperhaltung variieren zwischen nachdenklich, verletzlich, unsicher, ratlos, aber auch stolz. Dass die Figuren alle gleich aussehen, hängt damit zusammen, dass der Künstler keine besonders hervorheben will.
Inspiration aus der litauischen Ikonenschnitzerei
Die Arbeiten von Edvardas Racevicius tragen deshalb auch keine Titel. Denn er möchte nicht vorgeben, wie die Skulpturen zu interpretieren sind. Bevor sich der aus Litauen stammende Künstler, der seit Anfang 2000 in Greifswald lebt, intensiv mit der Holzbildhauerei beschäftigte, studierte er Theologie.
Seine Kunst ist inspiriert von der Ikonenschnitzerei seiner Heimat, den Sagen und Mythen und dem dort traditionell engen Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Der Baum gilt als vertikale Achse der Welt und Inkarnation der Seele. Doch dass dieses Verhältnis nicht nur von Harmonie geprägt ist, zeigen Skulpturen, bei denen die Figuren von Astbüscheln bis zur Unkenntlichkeit förmlich überwuchert werden.
An einer anderen Stelle sind es Späne, die aus einer Figur heraustreten. Sie sehen aus wie Pfeile und Messer, die den Menschen durchbohren. Doch als politischer Künstler will sich der zurückhaltende Künstler Racevicius nicht verstanden wissen.
Der Mensch im Austausch mit der Natur
Das sieht der Leiter der Galerie der Stadt Fellbach, Heribert Sautter, ganz anders: „Bis zu einem gewissen Grad versucht sich der Mensch von der Natur freizumachen, (...) auf der anderen hat es natürlich alles seine Grenzen. Spätestens dann, wenn die Natur zurückschlägt, weil der Mensch übertreibt. Das haben wir jetzt beim Klimawandel ja ganz deutlich gesehen, dass wir der Natur ausgeliefert sind.“
Man kann die Skulpturen aber auch ganz anders deuten: der Mensch sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, er hat im wahrsten Sinne des Wortes ein Brett – oder besser einen Ast – vorm Kopf, seine Welt steht Kopf, oder er sollte sich einfach öfter in den Wald begeben und sich von der Kraft und Schönheit der Bäume beseelen zu lassen.
Filigran und akribisch arbeitet Racevicius mit dem Holz
Der Fantasie des Betrachters setzt die Kunst von Edvardas Racevicius keine Grenzen. Ganz abgesehen davon ist es einfach ein Vergnügen zu sehen, mit wie viel Handwerkskunst, Liebe zum Detail und Akribie der Künstler dem Holz zu Leibe rückt.
Etwa wenn er mit dem Beitel filigrane Späne aus einer Platte herausschnitzt, die allein durch ihre Länge und die Richtung, in die sie gebogen sind, der Skulptur in der Mitte eine räumliche Tiefe und Plastizität verleihen, wie man sie sonst nur von der Malerei oder von der Fotografie her kennt.
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