Film

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von Emily Atef im Wettbewerb der Berlinale

Stand
Autor/in
Julia Haungs

Die verbotene Liebe zwischen der 18-jährigen Maria und dem doppelt so alten Henner steht im Zentrum von Emily Atefs Romanadaption „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“. Die Geschichte spielt in einem ostdeutschen Dorf zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. Der Film ist wie ein eingefrorener Moment zwischen gestern und morgen, in dem kurz alles möglich scheint. Er ist der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb der Berlinale.

Die Hoffnung auf Freiheit und Aufbruch

Ein Dorf in Thüringen im Sommer 1990. In goldenes Licht getauchte Weizenfelder so weit das Auge reicht. Für einen kurzen Moment scheint die Zeit still zu stehen: die DDR, wie man sie kannte, gibt es nicht mehr, aber Teil der Bundesrepublik ist Ostdeutschland auch noch nicht.

Für die Jugendlichen Maria und Johannes riecht es nach Freiheit und Aufbruch. Die Elterngeneration dagegen spürt schon den drohenden Niedergang: Marias Mutter hat ihren Job verloren. Johannes‘ Eltern, die einen Bauernhof haben, merken, dass sie nicht mehr konkurrenzfähig sind. Doch noch sitzen alle gemeinsam um den Küchentisch und Johannes, der in Leipzig Kunst studieren will, hält das Land, das es bald nicht mehr geben wird, mit der neuen West-Kamera fest.

 

Fernab aller DDR- Klischees

Regisseurin Emily Atef schildert diesen geschichtlichen Moment präzise, einfühlsam und fernab aller bildlichen DDR-Klischees. Sie nimmt eine ostdeutsche Perspektive ein, die man nicht allzu oft sieht im Kino. Der Zustand der Auflösung bildet den Hintergrund für die Liebesgeschichte im Zentrum des Films: Die 18-jährige Maria verliebt sich in den 20 Jahre älteren Henner. Der verschlossene Mann lebt alleine mit seinen beiden Rottweilern auf dem Nachbarhof. Und schon als er ihr das erste Mal die Hand auf die Schulter legt, weil sie sich vor seinen Hunden fürchtet, da ist es um Maria geschehen.

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN - Trailer (HD)

Romanvorlage von Daniela Krien

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ basiert auf dem gleichnamigen Debütroman von Daniela Krien aus dem Jahr 2011. In Buch wie Film geht es um die amour fou zwischen zwei ungleichen Partnern, deren Leidenschaft zunächst so gar nichts Romantisches hat. Henner lebt seine Sexualität rau bis brutal aus, Maria scheint es zu gefallen. Immer wieder sucht sie seine Nähe, flüstert ihm zu, mit ihr zu machen, was er wolle. Was er dann auch tut.

 Marlene Burow spielt ihre Figur nicht als Opfer

Die Feministin Atef muss geahnt haben, wie befremdlich solche Szenen in Zeiten von Metoo wirken können. Vorsorglich hat sie ihre Hauptfigur Maria um zwei Jahre älter gemacht und Felix Kramer als Henner agiert um einiges zivilisierter als im Buch. Dass Maria nicht wie das Opfer einer toxischen Beziehung erscheint, liegt vor allem am überzeugenden Spiel von Marlene Burow. Ihre Maria wirkt stark und sinnlich. Man nimmt ihr ab, dass sie mit Henner ihr eigenes Begehren auslebt und ihm mit der Zeit auf Augenhöhe begegnet.

 Herausfordernder erster deutscher Wetbewerbsfilm

Das Archaische dieser Liebe betont Atef mit gewaltigen Naturaufnahmen. Die ostdeutschen Felder haben etwas von der Weite der amerikanischen Prärie. Dräuende Wolkengebirge geben der Szenerie Dramatik. Viel gesprochen wird nicht. Die Kommunikation läuft größtenteils über Blicke und Gesten, in denen vieles mitschwingt, was ungesagt bleibt. „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ ist ein herausfordernder erster deutscher Film im Wettbewerb. Einer, der selbstbewusst ins Risiko geht und sicher noch für einige Diskussionen sorgen wird.

 „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ kommt am 13. April ins Kino

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Autor/in
Julia Haungs