Die Nacht spielt eine große Rolle in dem Film „Passagiere der Nacht“ von Regisseur Mikhaël Hers, denn dies ist die Zeit von Elisabeth (Charlotte Gainsbourg). Elisabeth – eine alleinstehende Frau mit zwei Teenagern – arbeitet bei einer nächtlichen Radiosendung. Mit ihr und den Menschen, denen sie begegnet taucht dieser Film ein in das Lebensgefühl der 1980er Jahre.
Wendepunkt für Frankreich
Mai 1981: François Mitterrand hat die französische Präsidentschaftswahl gewonnen. Der Sieg dieses liberalen Sozialisten war ein Wendepunkt für Frankreich und ein letzter Sieg progressiver Politikmodelle in den westlichen Demokratien in Zeiten, in denen bereits Neoliberalismus und Deregulierung beginnen, den Ton anzugeben und den Druck auf die liberalen Gesellschaften zu erhöhen. Sehr bewusst beginnt Regisseur Mikhaël Hers seinen Film genau in diesem Moment: Von Anfang an sind hier Privates und Gesellschaftliches, Kultur und Politik, das Große und das Kleine miteinander verbunden.
Optimistische Energie der 1980er Jahre
Begeisterte Wähler feierten den Wahlerfolg von François Mitterrand auf den Straßen, verteilten Rosen und verliehen der Atmosphäre dieses Beginns eines Jahrzehnts eine optimistische Energie. Zu ihnen gehört Elisabeth, gespielt von Charlotte Gainsbourg. Nach der Scheidung lebt sie allein mit zwei Kindern im Teenageralter in einer schönen modernen Appartmentwohnung, die eine Art Zentrum des Films über den Wandel der Zeiten hinweg bilden wird.
Sie sucht Arbeit, nicht allein des Geldes wegen, sondern vor allem um ihrem Leben einen neuen Sinn und neue Orientierung zu geben. So kommt sie zum Team von „Passagiere der Nacht" – der Titel dieses Films ist nämlich auch der einer Radiosendung im Film, genauer gesagt eines Nachtprogramms, bei dem Zuschauer anrufen können, das zusammen mit den verschiedenen Personen des Teams den zweiten emotionalen Mittelpunkt des Films bildet.
Punk-Girl crasht die bürgerliche Idylle
Dieser Film kreist um die zwei Zentren, das Private und das Berufliche, und bewegt sich entlang der Chronologie durch die 1980er Jahre: die Zeiten ändern sich, die Kinder von Elisabeth werden erwachsen, neue Personen stoßen zu dieser Familie: Da ist vor allem Talulah, gespielt von Noée Abita, einem Shootingstar des französischen Kinos. Sie ist ein junges Punk-Girl, das Elisabeth eines Nachts wie eine herrenlose Katze zuläuft. Das obdachlose Mädchen voller Ideale, zugleich ohne konkrete Zukunft, das ihren Weg nicht gefunden hat, zieht bei der Familie ein.
Nostalgische Hommage an eine Zeitenwende
Dieser Film ist nicht zuletzt eine nostalgische Hommage an eine Zeitenwende. Das Ende des Fortschrittsglaubens, das genau in jenen frühen 1980er Jahren einsetzt, in denen Punk die Flower Power ablöste, in denen eine neue Generation plötzlich "No Future" zum Identitäts-Slogan erklärte, in denen AIDS den freien Sex beendete, und betriebswirtschaftliche Denkansätze den Ausbau des Sozialstaats.
Mikhael Hers ist ein hervorragender Film gelungen, der der Versuchung von Melodramatik und Kitsch entgeht. Der getragen ist von seinen Darstellern, den Bildern des Kameramanns Sébastien Buchmann und dem klugen Einsatz von Archivmaterial. Der Film lebt von der Würde des Alltags und der kleinen Dinge, der Objekte unseres Lebens.