Gespräch

Israelische Regisseurin verarbeitet Hamas-Anschlag in Theaterstück: „Ich muss aus dieser Machtlosigkeit raus“

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Julian Burmeister

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„Wie kann man nach unmenschlichen Taten weiterhin humanistisch bleiben?“ Das hat sich die israelische Regisseurin Sapir Heller gefragt, nach den Gräueltaten der Terrororganisation Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober. In einem Theaterstück versucht sie mit der Autorin Maya Arad Yasur eine Antwort auf diese Frage zu finden. „Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten“ heißt das Stück, das am 19.11. um 11 Uhr Premiere am Landestheater Tübingen feiert.

Raus aus der Machtlosigkeit

Sie fühlte sich gelähmt, habe geweint und Nachrichten gehört, erzählt die Regisseurin bei SWR2, aber nach einer Weile musste sie aus dieser Machtlosigkeit raus. Daher entstand in ihr das Bedürfnis, was gerade passiert, in einem Theaterstück zu bearbeiten. Nach einem solchen Schock sei es leicht, in Rache und Wut-Gefühle zu verfallen, sagt sie, aber ihr Stück sei ein Plädoyer dafür, „trotzdem humanistisch zu bleiben, in einer unmenschlichen Welt, auch wenn das ein innerer Kampf ist“.

Ratgeber für Menschlichkeit – auch auf der anderen Seite gibt es Mütter

Das Stück sei als Ratgeber geschrieben, um menschlich zu bleiben, „es ist sehr künstlerisch aber auch sehr persönlich geschrieben“, erklärt sie, denn es sind 17 Ratschläge einer Frau an sich selbst, einer Mutter, die sich immer wieder in Erinnerung ruft: „Es gibt Mütter auch auf der anderen Seite“. In dieser Horrorgeschichte, sagt die Regisseurin, sei die Suche nach Identifikation auch auf der anderen Seite ein wichtiger Prozess, um menschlich zu bleiben, denn obwohl Mütter auf beiden Seiten von einer Grenze getrennt seien, „gibt es gleichzeitig sehr viele Ähnlichkeiten, wie die mütterlichen Gefühle“.

„Die Wörter Gaza, Israel, Nahost werden im Text nicht ausgesprochen“, erklärt Heller, denn ihr war es wichtig, die Emotionen jedes Menschen zu untersuchen, „der gerade eine Katastrophe erlebt“.

Eine Schauspielerin zeigt Haltung Iris Berben und ihr langer Kampf gegen den Antisemitismus

Seit Jahrzehnten engagiert sich Iris Berben in verschiedenen Vereinen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus und setzt sich entschieden für das Existenzrecht Israels ein.

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Krieg in Israel und Gaza: Wie umgehen mit Bildern von Gewalt?

Seit dem 7. Oktober, seit dem brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel, können wir den Krieg in Nahost live auf unseren Handys mitverfolgen. Videos und Bilder von Massakern, Raketenangriffen, Toten und Verletzten. Für manche Bilder gibt es auf sozialen Netzwerken wie Instagram Warnungen, bevor man sie sehen kann. Schwer ist es aber nicht, diese Warnungen zu umgehen - wenn man möchte. Wir fragen uns diese Woche: Müssen wir hinsehen, auch wenn es oft schwer zu ertragen ist? Oder dient das nur unserem Voyeurismus?

Wir sprechen in dieser Folge mit dem Fotografen Daniel Etter. Er kennt die Situationen in Krisen- und Kriegsgebieten aus nächster Nähe. 2016 hat er den Pulitzerpreis gewonnen für eine Fotoserie von Geflüchteten aus dem Irak. Am 7. Oktober war er gerade für eine Reportage in der Ukraine unterwegs. Den Krieg in Nahost verfolgt er derzeit aus der Ferne. Er findet, die Aufgabe für professionelle Fotojournalisten sei, einen solchen Krieg zu kommunizieren: “Einfach zu erzählen, was passiert. Ob es emotionalisierend ist. Ob es dokumentierend ist.” Wenn er Fotos von Kolleg*innen aus Gaza sieht, dann sei das “der pure Horror”. Aber auch die Bilder, die die Hamas produziert hat, seien so brutal, dass er sie nicht einmal beschreiben möchte.

Aber es gibt Kriegsbilder, die bei ihm Empathie auslösen. Bilder von professionellen Fotojournalist*innen, die nicht explizit sind: “Eines, das mir hängengeblieben ist, ist das einer Mutter in einem Krankenhaus, die auf dem Boden sitzt und ihr Kind in den Armen hält. Das Bild ist sehr grafisch, weil man das Kind nicht erkennt. Es ist eingehüllt in Tücher.” Bilder wie diese würden ihm näher gehen als Bilder, die Gewalt und Verletzungen zeigen.

Wie geht ihr mit der Bilderflut aus Kriegs- und Krisengebieten um? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de

Hosts: Pia Masurczak & Christian Batzlen
Showrunner: Kristine Harthauer

Unser Podcast-Tipp:
11KM: der tagesschau-Podcast zum Thema: “Nahost: Krieg der Bilder” https://www.ardaudiothek.de/episode/11km-der-tagesschau-podcast/nahost-krieg-der-bilder/tagesschau/12898241/

Tagesgespräch JSUD-Präsidentin Hanna Veiler: Junge Jüdinnen und Juden hinterfragen ihre Zukunft in Deutschland und Europa

Am 85. Jahrestag der Nazi-Pogromnacht in Deutschland fühlt Hanna Veiler, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, auch Wut. Im SWR2 Tagesgespräch kritisiert sie die Erinnerungskultur in Deutschland: "Wir erleben seit Jahrzehnten, dass an Jahrestagen wie dem 9. November oder dem 27. Januar zahlreiche 'Nie wieder...' aufgezählt werden. Das ist ein ritualisiertes Gedenken geworden. (…) Aber wir sind immer noch nicht an dem Punkt angekommen, dass verstanden wurde, dass das nicht leere Floskeln sein können, sondern dass das Handlungsaufträge für die Gegenwart und Zukunft sein müssen. Dass wir nicht toten Jüdinnen und Juden gedenken können, ohne gleichzeitig dafür zu sorgen, dass lebendige Jüdinnen und Juden im Hier und Jetzt sicher und selbstbestimmt leben können."
Die Feindseligkeit habe seit dem 7. Oktober, dem Tag an dem Hamas-Kämpfer in Israel mehr als 1400 Menschen getötet und mehr als 200 verschleppt haben, deutlich zugenommen, auch wenn jüdische Lebensrealität in Deutschland schon lange vorher "und eigentlich immer von Antisemitismus geprägt" gewesen sei.
Mit Blick auf die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Deutschland spricht Veiler aktuell von einer "Paradoxen Situation". Jüdische Aktivisten und Organisationen hätten über Jahrzehnte "alles daran gesetzt, jüdisches Leben sichtbarer zu machen". Gerade müssten aber "Jüdinnen und Juden ihre Identität wieder verstecken (…), um sicher sein zu können." Gleichzeitig sei jüdisches Leben aufgrund der jahrelangen Arbeit "nach wie vor wahnsinnig sichtbar".
Veiler geht davon aus, dass der 7. Oktober die "jüdische Gemeinschaft nachhaltig prägen und verändern" wird. Auf welche Art und Weise, könne man im Moment noch nicht sagen. Erste Anzeichen dafür seien ein "Gefühl der Unsicherheit" und eine „Veränderung des Selbstbewusstseins und der Selbstwahrnehmung als eigentlich gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger dieses Landes".

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