2.000 Mahlzeiten sind im vergangenen Jahr in zwei Firmenkantinen in Esslingen und Deizisau (Kreis Esslingen) "gerettet worden" - dank einer Künstlichen Intelligenz. Die hat nämlich vorausgesagt, dass diese Essen gar nicht gegessen werden, weshalb sie gar nicht erst zubereitet wurden. So konnten Lebensmittelabfälle und dadurch CO2 und Trinkwasser eingespart werden. Das Unternehmen, das die Kantinen betreibt, hat sich dafür Hilfe von zwei Stuttgarter Gründern geholt.
Zu viel Lebensmittelabfälle in der Mensa: Idee für Start-up geboren
Die Beiden kamen 2017 auf eine Idee, als sie in der Mensa der Universität Stuttgart saßen. Jakob Breuninger und Valentin Belser merkten damals, dass auch deutlich nach der Mittagszeit noch viel Essen übrig ist. Etliches davon wird regelmäßig weggeworfen. Hier gibt es also Optimierungsbedarf, dachten sich die beiden Luft- und Raumfahrttechnik-Studenten. Und das stimmt, denn deutschlandweit werden zwei Millionen Tonnen Lebensmittel in der Außer-Haus-Verpflegung weggeworfen, also in Restaurants oder Kantinen. Wie viel es in Baden-Württemberg ist, sei der Landesregierung nicht bekannt, heißt es vom Ernährungsministerium auf SWR-Anfrage.

Die beiden Studenten gründeten aufgrund ihres Mensabesuchs das Start-up "Delicious Data". Die Firma ist inzwischen angewachsen auf 25 Beschäftigte. Zu ihren zahlreichen Kundinnen und Kunden zählen etwa Bäckereien, das Studierendenwerk Stuttgart und Unternehmen, die Firmenkantinen betreiben. "Wir sind vielleicht schon so die klassischen, schwäbischen Tüftler. Effizienz zu verbessern und Prozesse zu optimieren ist etwas, was uns als Ingenieure antreibt - vor allem in der Kombination mit der Vermeidung von Lebensmittelabfällen", sagt Valentin Belser.
Wir sind vielleicht schon so die klassischen, schwäbischen Tüftler.
KI prognostiziert: Welches Gericht geht wie häufig über die Theke?
Zu ihren Kunden gehören auch Kantinen des Maschinenbauers INDEX in Esslingen und Deizisau. Am Standort Deizisau gehen täglich etwa 160 Mittagessen über die Theke. Wie wird die KI hier aber im Alltag nun eingesetzt? Dafür lohnt sich ein Blick über die Schulter des dortigen Betriebsleiters Armin Mössinger. Der bereitet an diesem Tag drei Gerichte vor: Hähnchenschnitzel, Cannelloni und Rührei sowie diverse Beilagen wie Ratatouille.

Bei der Bestellung der Lebensmittel für diese Speisen bekam Mössinger Unterstützung durch die KI-Anwendung. Denn die hat schon vor Wochen prognostiziert: Das Hähnchen wird an diesem Tag 70 Mal verkauft werden, die Pasta 17 Mal und das Rührei neun Mal. Dafür analysierte die KI, wie häufig ein Gericht beim letzten Mal über die Theke ging. Dann kombinierte sie diese Daten beispielsweise mit dem Wetter oder mit Ferienzeiten. Denn bei besserem Wetter holen sich Beschäftigte auch gerne draußen etwas "auf die Hand" - und in Ferienzeiten sind weniger hungrige Menschen da.
Koch mischt KI-Prognose mit Bauchgefühl
Allerdings speist Mössinger auch eigenen Wissen mit in die Analyse der KI ein. Denn im Gegensatz zu ihr weiß er, dass Maschinenbauer auf Kurzarbeit umgestellt hat und deshalb weniger Beschäftigte heute arbeiten. Manchmal wisse auch nur er, wann die Azubis in der Berufsschule seien. In solchen Fällen korrigiert er die KI-Prognose leicht nach oben oder unten - in diesem Fall auf 50 Schnitzel, 25 Cannelloni und neun Rührei. Das KI-Start-up "Delicious Data" weist darauf hin, dass die KI dies rein technisch auch alles wissen könnte - doch es gebe Grenzen, beispielsweise durch den Datenschutz.
In Tübingen wird in der Kantine der Uniklinik ein kochender Roboter eingesetzt. Das geschieht zwar vor allem als Reaktion auf den Fachkräftemangel und damit das Pflegepersonal auch nachts versorgt ist - damit wird aber gleichzeitig auch zielgenau gekocht, und es findet keine Lebensmittelverschwendung statt:
150 Mahlzeiten pro Stunde Uniklinik Tübingen: Kochender Roboter gegen den Fachkräftemangel
Im Uniklinik Tübingen schwingt ein Roboter den Kochlöffel. Erst für Mitarbeiter, dann für Patienten. Ein Konzept, das dem Fachkräftemangel entgegenwirken soll. Wie schmeckt's?
Lebensmittelabfälle werden "doppelt" eingespart
Durch die genauen Prognosen müssen einerseits weniger zubereitete Mahlzeiten weggeschmissen werden. Andererseits fallen auch in der Küche beim Zubereiten weniger Lebensmittelabfälle an, weil insgesamt passgenauer gekocht wird. An diesem Tag beträgt die Menge der Küchenabfälle lediglich 1,5 Kilogramm - für alle Mahlzeiten.
Zur Wahrheit gehört hier aber auch, dass diese nur bei der Beilage Ratatouille angefallen sind. Denn bei allen anderen Speisen wurden die Zutaten bereits geschnitten angeliefert - oder es entstehen keine Abfälle wie beispielsweise beim Blattspinat, der zum Rührei serviert wird.

Apetito Catering will die Software auf alle Standorte ausweiten
Betrieben werden die Kantinen des Maschinenbauers INDEX von Apetito Catering. Gebietsleiter Georg Hitzler ist von der KI überzeugt. Sie wird bereits in 125 Kantinen genutzt, die das Unternehmen betreibt. Und Ziel sei es, alle Kantinen mit der Software zu erschließen, sagt Hitzler.
Denn eins stellen er und sein Betriebsleiter Mössinger fest: Die KI werde im Laufe der Zeit immer besser und immer genauer. Denn je häufiger ein Essen verkauft wird, je mehr Daten sie bekomme, desto besser seien die Prognosen.

An den beiden Standorten Deizisau und Esslingen wurden somit im Jahr 2024 insgesamt 2.008 Mahlzeiten nicht "umsonst" gekocht. Dadurch wurden laut "Delicious Data" 2.500 Kilogramm CO2-Emissionen und 3,7 Millionen Liter Trinkwasser eingespart. Bei Apetito Catering ersetzt die KI übrigens keinen Arbeitsplatz:
Die KI kann ja nicht kochen. Die KI ist einfach ein unterstützendes Tool für uns.
KI und Koch liegen mit gemeinsamer Prognose sehr gut
Das Startup will sich derweil vergrößern. "Wir entwickeln uns gerade von einer reinen Prognose-Lösung zu einer Plattform", erzählt Valentin Belser. Die Firma will ihren Kundinnen und Kunden noch mehr bieten und ihnen etwa auch bei der Personaleinsatzplanung helfen.
Nach dem Mittagessen zeigt sich an diesem Tag: Die "Misch-Prognose" mit sowohl den Daten der KI als auch dem Wissen des Betriebsleiters kam der Wirklichkeit am nächsten. So wurden beispielsweise 48 Portionen Schnitzel verkauft, prognostiziert waren 50. Bei Cannelloni lagen Schätzung und Ergebnis um eine verkaufte Portion auseinander und bei Rührei lag die Differenz bei zwei Portionen.