Weniger Lebensmittel von den Supermärkten

Tafeln suchen neue Bezugsquellen und wollen Lockerung beim MHD

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Von Autor/in Götz Kohlmann

Die Tafeln erhalten weniger von den Lebensmittelmärkten, da diese ihre Angebote optimieren. Neue Bezugsquellen direkt beim Produzenten sollen die Lücken schließen. Auch beim Mindesthaltbarkeitsdatum wünschen die Tafeln sich Lockerungen.

Die Tafeln stecken in einer prekären Situation. Die Zahl der Kunden steigt, doch der Zufluss an verteilbarer Ware hält nicht mit. Die Folge: Aufnahmestopps, Wartelisten - auch in Rheinland-Pfalz.

Sabine Altmeyer-Baumann spricht von einer "furchtbaren historischen Lage". Durch den Ukraine-Krieg und die Inflation sei man erstmals in dieser Situation, dass das Angebot der Nachfrage nicht standhalte, sagt die Vorsitzende des Landesverbandes Rheinland-Pfalz/Saarland der Tafeln.

Bisher habe man es immer geschafft, auch während der Krise 2015/16, als die Menschen aus Syrien gekommen seien. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine sei das nicht mehr möglich gewesen. Das sei bitter für die Mitarbeitenden der Tafeln, die alle ehrenamtlich tätig sind. Diese könnten die Gästezahlen nach ihrer Ansicht bewältigen, wenn sie an mehr Waren kämen.

Es gibt jedoch eine Entwicklung im Lebensmittel-Einzelhandel, die dem entgegen steht. Die Branche kann bedarfsgerechter als früher ordern und produzieren. Die Digitalisierung hilft dabei. Der Handel optimiert sein Angebot mit dem Ziel der Nachhaltigkeit. Es sollen weniger Lebensmittel verschwendet werden.

"Pakt gegen Lebensmittelverschwendung"

Seit Sommer 2023 gibt es den "Pakt gegen Lebensmittelverschwendung", den die Bundesregierung mit insgesamt 14 Unternehmen des Groß- und Einzelhandels vereinbart hatte. Ziel ist es, bis 2030 die Lebensmittelabfälle im jeweiligen Unternehmen um 50 Prozent zu reduzieren.

Der Pakt verpflichtet die Unternehmen auch, Kooperationen zur Weitergabe von verzehrfähigen Lebensmitteln einzugehen - vorrangig mit sozialen Einrichtungen wie den Tafeln. Alle, die den Pakt unterzeichnet hätten, seien auch zuvor schon mit den Tafeln verbunden gewesen, so Altmeyer-Baumann. Der Einzelhandel habe da nichts neu erfinden müssen.

Die Kooperationen würden ausgebaut, heißt es vom Handelsverband Südwest auf Anfrage. Vorrangiges Ziel sei es aber, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, in erster Linie, indem darauf bereits bei den Bestellungen geachtet werde. Es könne also nur an die Tafeln oder andere Organisationen abgegeben werden, was im normalen Verkauf nicht veräußert werden könne.

Supermärkte bieten "Rettertüten" und mehr Rabatte an

Die Supermärkte optimieren also ihren Bestellprozess, um die Vorgaben des Paktes zu erfüllen, zugleich kommt damit auch weniger bei den Tafeln an. Zudem setzen die Discounter darauf, mit günstigen Angeboten verderbliche Lebensmittel loszuwerden, ein Beispiel ist die "Rettertüte", gefüllt mit Obst und Gemüse, die gegen ein geringes Entgelt an Kunden geht. Ware, die dann bei den Tafeln fehlt.

Manche Tafeln in Rheinland-Pfalz spüren diesen Rückgang stärker als andere, so in Ludwigshafen.

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Besser werde es durch die Kalkulationen der Supermärkte nicht, klagt auch Stefan Opitz von der Tafel Kaiserslautern, eher schlimmer. Denn die Zahl der Bedürftigen nehme seit Jahren zu.

Den Trend zum "Alles muss raus" kurz vor Ladenschluss sieht Opitz kritisch: "Wir bekommen noch Sachen, aber das, was nicht mehr verkauft wird." Oder das Angebot sei einseitig, dann erhalte man zum Beispiel nur eine Menge Bananen.

Auch Herbert Heimes von der Tafel Rhein-Hunsrück sieht die Tafeln derzeit unter Druck: "Wir haben ellenlange Wartelisten mit Empfängern, die eigentlich berechtigt wären, bei uns Ware zu bekommen." Und zugleich würden eben die Warenhäuser die überschüssigen Lebensmittel zunehmend selbst vermarkten.

Altmeyer-Baumann versteht den Unmut der Tafeln im Land, sieht es aber auch pragmatisch. Sie verweist darauf, dass den Tafeln ja nicht entgangen sei, wohin sich der Einzelhandel entwickle. Daher setze man seit Jahren Kontrapunkte und versuche zum Beispiel bei Produktion und Erzeugung abzuschöpfen.

Die Inhalte der "Rettertüten" hätten früher die Tafeln bekommen. Doch das seien betriebswirtschaftliche Entscheidungen, die man hinnehmen müsse. Die Unternehmen müssten nachweisen, dass sie weniger verschwenden und Geld verdienen wollten alle. Die im Pakt angestrebte Halbierung der Lebensmittelverschwendung komme den Zielen der Tafeln auch "ganz klar entgegen". Das sei eine Seite ihrer Arbeit.

Eine Frage des Konzeptes der einzelnen Tafeln

Es sei auch eine Frage des Selbstverständnisses und Konzeptes der einzelnen Tafeln, findet Regina Bergmann, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen, zu dem die Trierer Tafel gehört. "Wir haben in Trier nie den Anspruch gehabt, ein Vollsortiment vorzuhalten", sagt sie. Die Lebensmittelhilfe sei bei der Trierer Tafel auch nur ein Baustein von vielen Hilfsangeboten für sozial benachteiligte Menschen.

Langfristig werde sich die Strategie der Konzerne hoffentlich positiv auf das Klima auswirken, was allen Menschen zu Gute komme. Insofern begrüße sie diese Form der Optimierung sehr.

Auch die Menschen, die die Trierer Tafel aufsuchen, könnten mit dem wechselnden und nicht vorhersehbaren Angebot gut umgehen und schätzten die Unterstützung so wie sie sei. "Wir erhalten immer noch genügend Lebensmittel, um den Menschen, die die Tafel aufsuchen so viel mitgeben zu können, dass der Weg sich lohnt." Lebensmittel, die bei der Ausgabe nicht verteilt werden könnten, würden an die Organisation Foodsharing weitergegeben.

Einerseits gibt es also die Engpässe durch die Kalkulation der Konzerne, andererseits wird der daraus folgende Rückgang der Lebensmittelverschwendung begrüßt, da er grundsätzlich dem Anliegen der Tafeln entspricht.

Problem Mindesthaltbarkeitsdatum

Altmeyer-Baumann spricht jedoch einen anderen wunden Punkt an: den Riesenanteil an Waren, die die Tafeln aufgrund des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums nicht erhalten und die in den Abfallcontainern der Märkte landen. Dieses Problem müsse unbedingt gelöst werden. Bei einem ersten Einzelhändler sei derzeit etwas in Bewegung.

Es sei in Ordnung, wenn weniger produziert werde und es sei in Ordnung, wenn ein Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen bis zur letzten Sekunde einen Abverkauf organisiere, sagt sie. Es sei aber nicht in Ordnung, dass die Fahrer der Tafeln vor Ort, wenn sie Lebensmittel abholen, erkennen müssten, dass nach wie vor ein erheblicher Umfang in der Tonne lande, weil diese Ware nicht an die Tafeln abgegeben werden dürfe.

Tafeln könnten Haftung beim MHD übernehmen

Auch wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) vom Vortag sei, gebe der Handel die Ware nicht raus, weil er aus seiner Sicht haftbar bleibe. Die Tafeln seien bereit, in Haftung zu gehen, sobald sie ein Produkt bekommen. Auch die Tafelgäste seien zu dieser Regelung bereit.

Mit jedem Gast werde eine Vereinbarung getroffen. Er werde darauf hingewiesen, dass die Lebensmittel nach bestem Gewissen ausgegeben werden. Und wenn etwas über MHD herausgegeben werde oder es noch am selben Tag ablaufe, werde dem Tafelgast erklärt, dass er das Produkt prüfen muss. Der Gast sage damit zu, dass er selbst verantwortlich ist, sobald er die Ware mitnimmt.

"Es gibt noch einen Riesenanteil an Waren im lokalen Handel, an den wir nicht kommen. Obwohl wir ihn gut brauchen könnten," sagt Altmeyer-Baumann. Das sei in der derzeitigen Situation der Tafeln ärgerlich. Bereits seit Jahren werde in Kommissionen darüber geredet, wie diese Waren trotzdem gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt werden könnten. Dennoch sei das MHD immer noch nicht "geknackt".

Der Handel sei bereit für eine Freischaltung von der Haftung, doch der Gesetzgeber gebe sie bisher nicht. Es brauche da eine bundesweite Lösung. Und hinzu komme, dass es hier EU-weit einheitliche Regeln gebe.

Solange der Handel nicht von eventuellen Haftungsfragen befreit sei, sei eine Abgabe aus rechtlicher Sicht nicht möglich, bestätigt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Südwest, Thomas Scherer. Der Ball liege im Feld der Politik. Gespräche in der Vergangenheit ließen aber nicht erwarten, dass der Weg politisch gewollt sei.

Tafeln erschließen sich neue Bezugsquellen

Der Landesverband versucht nach Angaben der Landesvorsitzenden seit vielen Jahren, einen zweiten Markt neben dem Handel zu erschließen. Dazu gehe man Kooperationen mit Produzenten und Erzeugern ein. Es könne sich um Produkte handeln, bei denen ein Fehler am Etikett vorliege und die deshalb nicht in den Handel dürften.

Dann gebe es zum Beispiel Waren, die einen Tag zu lange gelagert hätten, bis sie auf den Transporter in Richtung Supermarkt gebracht werden konnten. Diese würden die Firmen dann aufgrund der Verträge nicht los. Mittlerweile wüssten sie, dass sie den Landesverband der Tafeln anrufen können, wo es innerhalb von wenigen Stunden möglich ist, diese Ware abzugeben. Und dann wird sie auf die einzelnen Tafeln nach Bedarf umverteilt. Das sei der Job, den die Tafeln im Hintergrund leisteten.

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