Buchkritik

Nora Krug – Im Krieg

Stand
Autor/in
Silke Arning

Seit mehr als 20 Jahren lebt die Illustratorin Nora Krug in New York und hat sich mit ihren Arbeiten zu zeitgeschichtlichen Themen international einen Namen gemacht. In dem neuen Band „Im Krieg“ der gebürtigen Karlsruherin berichten zwei Zeitzeugen aus Kiew und St. Petersburg von ihren Alltagserfahrungen, die auf ganz unterschiedliche Weise von existentieller Not, von Verlust und Bedrohung geprägt sind. Ihre Emotionen hat Nora Krug mit sehr einfühlsamen, starken Illustrationen zum Ausdruck gebracht.

Es ist nicht ganz einfach, diesen neuen Band von Nora Krug auf einen Nenner zu bringen. Es ist kein Comic, auch keine Graphic Novel, also keine illustrierte Erzählung. Sie selbst nennt es „visuellen Journalismus“ und so sind Auszüge aus ihrem neuen Buch „Im Krieg“ bereits in der Los Angeles Times erschienen. Ein Jahr lang, genau seit dem ersten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, hat die New Yorker Autorin den Verlauf des Krieges anhand zweier Zeitzeugenberichte verfolgt. Einmal in der Woche nahm sie dazu Kontakt mit der Kiewer Journalistin K. und dem russischen Künstler D. auf, um ihre Alltagserfahrungen abzufragen, ihren ganz unterschiedlichen Blick auf das Kriegsgeschehen einzufangen. Die russische Perspektive mit ins Boot zu holen, war ihr wichtig, wenngleich nicht unproblematisch:

„Das Ziel war jetzt nie, einen – in Anführungsstrichen – guten Russen zu zeigen, also einen Helden, gleichzeitig aber auch keinen Putin-Unterstützer, einen Fanatiker. Sondern eher eine komplexe Perspektive zu zeigen eines Mannes, der gegen Putin ist und auch mutig genug ist, sich mir gegenüber ein Jahr lang dazu zu positionieren, gleichzeitig sich aber eingesteht, dass er sich nicht traut, momentan auf Demonstrationen zu gehen, sich im Exil in Paris öffentlich zu positionieren gegen den Krieg, dass er kein Aktivist ist.“

Die Gleichzeitigkeit extrem unterschiedlicher Kriegserfahrungen

Die wöchentlichen Notizen aus Kiew und St.Petersburg hat Nora Krug in einen Fließtext übersetzt, Fakten und Zahlen zuvor noch einmal geprüft, dann jeweils auf einer Doppelseite gegenübergestellt. Eine starke Wirkung. Besonders bei der Gleichzeitigkeit extrem unterschiedlicher Kriegserfahrungen. Nach den ersten Bombardements zum Beispiel bringt die Kiewer Journalistin als erstes ihre beiden Kinder, zwei und sechs Jahre alt, nach Kopenhagen in Sicherheit, um dann als Berichterstatterin an die Front zurückzukehren. Die Kinder des russischen Künstlers nehmen den Krieg erst dann zur Kenntnis, als sie in Petersburg wegen des Boykotts kein Nintendo-Spiel mehr kaufen können. Im Sommer fahren die Russen zum Strandurlaub auf die Krim und werden von der ukrainischen Gegenoffensive erfasst. Zur selben Zeit entdeckt die Kiewer Journalistin ein russisches Propagandavideo über ihren Freund, einen Menschenrechtsaktivisten und Pazifisten, der in russische Gefangenschaft geraten ist.

Schmerz und Verlust auf beiden Seiten

Ohnmacht und Schmerz sprechen aus ihrer Schilderung. Tod, Zerstörung und Verlust sind Erfahrungen, mit denen die Frau aus Kiew jeden Tag aufs Neue umgehen muss. Bedroht fühlt sich aber auch der russische Künstler, doch bei ihm sei es eher ein innerer Kampf, hat Nora Krug beobachtet:

„Also den Kampf mit dem mit dem Regime das Landes, das er eigentlich liebt, weil es seine Heimat ist, der Kampf aber auch mit der eigenen Passivität, gesteht sich auch ein, dass er oft nicht genug tut und das war für mich sehr interessant zu beobachten. Und für mich ist es deswegen eine wichtige Perspektive, weil sie, finde ich, eine Art Spiegel darstellt. Also die Hoffnung ist, dass der Leser und die Leserin sich dann darin spiegeln und vielleicht selbst mit unserer eigenen Passivität auseinandersetzen. Tun wir genug, was können wir noch mehr tun, um uns gegen Russland, aber auch andere tyrannische Tendenzen zu wehren und aktiv zu werden? Also tun wir genug gegen die AfD? Tun wir genug in den USA gegen Donald Trump?“

An dieser Stelle scheinen die Tagebucheinträge des russischen Künstlers eine Ahnung zu vermitteln: die verzweifelten Bemühungen, sich und die Familie dem totalitären Staatszugriff zu entziehen, Papiere zu bekommen, Arbeit im Ausland, auswandern zu können. Und dann die traurige Erkenntnis: „Es macht mehr Angst Russland zu verlassen, weil man Angst hat im Ausland einsam zu sein“.

„Was mir sehr wichtig war, war, dass wir ja oft in den Medienberichterstattungen sehr wenig über die Alltagserfahrung der Menschen erfahren. Also wir Lesen über das Kriegsgeschehen, über die Entwicklung des Krieges, was natürlich sehr wichtig ist. Also die Fakten sind ganz wichtig und unbestreitbar. Aber es sind eben gerade die persönlichen Erzählungen, die uns auch noch mal einen tieferen und anderen und emotionaleren Einblick verschaffen können.“

Nachdenken über Verantwortung, Schuld und Hass

Und es bleibt nicht bei den Alltagsberichten. Nora Krug bringt die beiden dazu, mit sich selbst ehrlich ins Gericht zu gehen. Über Verantwortung, Schuld und Hass. Beide Stimmen kommen ins Nachdenken über Kategorien, die in diesem Krieg nur zu gern auch politisch ausgeschlachtet werden: über Heimat und Patriotismus, über kulturelle Zugehörigkeit und Identität. So entsteht ein sehr komplexes, ambivalentes Bild. Der Band „Im Krieg. Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg“ will nicht erklären oder versöhnen. Es sind diese zwei sehr unterschiedlichen, individuellen Stimmen, denen Nora Krug eine Bühne gibt. Textlich hält sie sich ohnehin ganz zurück. Sie spricht allein durch ihre farblich bedeckt gehaltenen Illustrationen, die die Emotionen der beiden Menschen bildlich verstärken – ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Gleichzeitig ist Nora Krug ganz um die Anonymität ihrer Zeitzeugen bemüht, die man nie wirklich erfasst, sondern nur schemenhaft von der Seite oder von hinten. Immer wieder liegt der Focus auf der Körperhaltung, Hände spielen eine große Rolle in den Zeichnungen, Ohne aufdringlich oder übergriffig zu werden, schafft Nora Krug so sehr persönliche Innen-Ansichten. Bemerkenswert unaufgeregt, sehr sensibel und zugleich sehr intensiv.  „Im Krieg“ – ist ein eindrücklicher Appell, genau hinzusehen.

Gezeichneter Kriegsjournalismus Chronik der Zerstörung: Nora Krug illustriert ukrainische und russische Kriegstagebücher

Ein Jahr lang hat sich Nora Krug vom Krieg in der Ukraine erzählen lassen. Das Ergebnis ist der Band „Im Krieg. Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg“.

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„Heimat“ heißt die Graphic Novel, in der sich Nora Krug mit der NS-Geschichte ihrer Familie beschäftigt. Sie ging nach dem Studium nach New York, heiratete in eine jüdische Familie und lebt seit 20 Jahren in den USA.

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