Westdominanz und Ostalgie: Wie steht es um die Deutsche Einheit?
In den Feuilletons tobt derzeit ein Streit um das Erbe der DDR. Auslöser ist unter anderem das Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ von Dirk Oschmann. Es geht um Westdominanz, Ostidentität und Ostalgie. Dabei überrascht die Hitzigkeit der Diskussion. Schließlich liegt der Mauerfall mehr als 30 Jahre zurück.
Praktisch nichts an den aktuellen Diskussionen sei neu, meint der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Vieles sei bereits in den 1990er-Jahren diskutiert und verhandelt worden . Kowalczuk war schon damals Teil mehrerer Enquete-Komissionen des Deutschen Bundestages und hat die Diskurse der letzten 30 Jahre aktiv mitverfolgt. 2019 veröffentlichte er das Buch „Die Übernahme: Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“.
Dirk Oschmann im Gespräch über sein Buch
Ostdeutsche Positionen finden sich zu wenig in der Debatte
Die „Aufarbeitungsindustrie“ der vergangenen dreißig Jahre, argumentiert Oschmann, habe häufig mit westdeutschen Positionen über die Köpfe er Ostdeutschen hinweg argumentiert. Es gehe vielen Ostdeutschen um eine Wiederaneignung der eigenen Vergangenheit.
Das moderne DDR-Bild stelle diejenigen ins Zentrum, die seinerzeit marginalisiert wurden, etwa politisch Verfolgte und Widerständler. Zwar seien diese Geschichtsbilder nicht falsch, doch viele Ostdeutsche finden sich und ihre Erfahrungen mit dem Staat darin nicht wieder.
Die Situation in Ostdeutschland sei besser, als häufig schlecht geredet werde, meint Ilko-Sascha Kowalczuk. Doch sie könnte auch weitaus besser sein.
Ein bestehender Diskurs der Herabwürdigung
Ein generelles Problem sei das herabwürdigende Bild, das seit 1989 von Ostdeutschen in den Medien gezeichnet werde: dumm, hässlich und faul oder rassistisch und rechtsextremistisch – Scheitern auf der ganzen Linie.
Die Leaks um die Kommentare von Springer-Chef Mathias Döpfner seien nur das jüngste Beispiel dieser Ost-Bildes. Negative Aussagen, konstatiert Oschmann, finden sich auch bei den politischen Eliten: Das Ostdeutsche sei immer eine Abweichungen von der Norm, etwas Zurückgebliebene.
Diese Herabwürdigung erkennt Oschmann auch in der Berichterstattung über sein eigenes Buch. So kritisiert er die Illustration eines größeren Interviews im Spiegel mit Männern in Blaumännern, Schnauzbart und 1990er-Vokuhila. Das Ostdeutsche werde immer als das Hässliche und Unfähige herabgesetzt.
Mehr Ostdeutsche Teilhabe in zentralen Positionen
Dass Deutschland an seinem innerdeutschen Diskurs arbeiten muss, sind sich alle Debattierenden einig. Journalistin Liane Bednarz fordert, man müsse sich Gedanken machen über die Eliten. Ostdeutsche müssten die Zugang zu zentralen Positionen in Politik, Wirtschaft und Stiftungsräten erhalten. Das Selbstbewusstsein des Ostens könnte dadurch gestärkt werden.
Während Bednarz einer „Ostquote“ eher verhalten gegenübersteht, ist Dirk Oschmann mittlerweile dafür. Es sei das schärfste Mittel, um den Diskurs zu ändern, meint der Autor.