An „Oppenheimer“ kommt keiner vorbei
Es ist nicht der Abend der großen Überraschungen bei der 96. Verleihung der Oscars in Los Angeles. Wie erwartet führt bei den großen Kategorien kein Weg an Christopher Nolan's „Oppenheimer“ vorbei: 13-fach nominiert sind es am Ende sieben Goldjungen für den Film von Regisseur Nolan, der mit seiner achten Nominierung erstmals den Regie-Oscar erhält. Nun steht er in einer Reihe mit Regie-Größen wie Martin Scorsese oder Steven Spielberg.
Die Filmkritik von Rüdiger Suchsland:
Yorgos Lanthimos verpasst die große Sensation
Kurzzeitig sieht es so aus, als würde „Poor Things“ von Regisseur Yorgos Lanthimos die Oppenheimer-Party sprengen. Gerade zu Beginn der Verleihung räumt „Poor Things“ ab, unter anderem für bestes MakeUp und Hairstyling, bestes Szenenbild und bestes Kostümbild. Schlussendlich gehen die großen Trophäen für den besten Film und die beste Regie jedoch an „Oppenheimer“.
Sandra Hüller geht leer aus
Es sollte der große Abend von Sandra Hüller werden. In gleich zwei nominierten Filmen („The Zone of Interest“, „Anatomie eines Falls“) spielte Hüller mit, war unter anderem als beste Hauptdarstellerin in „Anatomie eines Falls“ nominiert. Doch Hüller, deren Chancen im Vorfeld als nicht hoch eingestuft wurden, unterliegt Emma Stone, die für ihre Hauptrolle in Yorgos Lanthimos' Drama „Poor Things“ ausgezeichnet wird.
Früh in der Oscarnacht erhalten Justine Triet und Arthur Harari den Oscar für das beste Originaldrehbuch für „Anatomie eines Falls“. Der Film seziert penibel die Ehe zwischen einer erfolgreichen Schriftstellerin und ihrem erfolglosen Ehemann. Mit einem Augenzwinkern sagt eine sichtlich gerührte Justine Triet, der Oscar werde ihr „über ihre Midlife-Crisis hinweghelfen“. Sie stechen damit unter anderem das Bernstein-Biopic „Maestro“ von Bradley Cooper aus, das an diesem Abend gänzlich leer ausgeht.
Die Filmkritik von Rüdiger Suchsland:
„Entmenschlichung“ damals wie heute: Jonathan Glazers Dankesrede
Das gab es in der Kategorie für den besten internationalen Film noch nie: Zwei deutsche Regisseure sind im selben Jahr nominiert. Doch weder Wim Wenders mit „Perfect Days“ für Japan noch der deutsche Beitrag von İlker Çatak, „Das Lehrerzimmer“, können sich durchsetzen. Mit Jonathan Glazers Auschwitzfilm „The Zone of Interest“ gewinnt dennoch ein deutschsprachiger Film.
Gleichzeitig wird es zum ersten Mal in der Oscarnacht politisch: Glazer nimmt in seiner berührenden Rede Bezug auf den Krieg in Gaza und die Angriffe der Hamas gegen Israel am 7. Oktober, bezeichnet sie als aktuelle Beispiele von Entmenschlichung. Klare und mutige Worte, wenn man bedenkt, dass Richard Gere einst für 20 Jahre von den Oscars ausgeschlossen wurde, nachdem er auf die Situation in Tibet aufmerksam machte.
Doch Glazers Statement ist nicht die einzige politische Botschaft des Oscar-Abends. Die In-Memoriam-Rubrik wird eingeleitet von einem Statement des kürzlich in russischer Haft verstorbenen Alexey Nawalny, untermalt von Andrea Boccellis „Time to say Goodbye“. Im vergangenen Jahr wurde die Dokumentation „Nawalny“ mit einem Oscar ausgezeichnet.
„20 Tage in Mariupol“ in der ARD Mediathek
Mit „20 Days in Mariupol“ von Mstyslaw Tschernow wird auch in diesem Jahr ein Dokumentarfilm ausgezeichnet, der eine Gruppe von ukrainischen Journalisten porträtiert, die zu Beginn der russischen Invasion in der belagerten Stadt Mariupol festsitzt. Infolgedessen versuchen sie, ihre Arbeit fortzusetzen und die Gräueltaten des Krieges zu dokumentieren.
Der Dokumentarfilm entstand in Zusammenarbeit mit dem SWR und steht in der ARD Mediathek zur Verfügung.
Kreativität bei den Laudatios sorgt für einen kurzweiligen Abend
Wie wichtig ein gutes Kostüm sein kann, zeigt die Laudatio für das beste Kostümbild: Ein nackter John Cena, nur mit dem Umschlag vor dem Schritt, wünscht sich verzweifelt, er hätte eines. Nach einer der kurzweiligsten Ansagen des Abends geht die Auszeichnung an Holly Waddington für „Poor Things“.
Ebenfalls unterhaltsam ist das Comeback der „Fab5“ Laudatoren: Für die besten Haupt- und Nebendarsteller*innen halten jeweils ehemals mit dem Award ausgezeichnete Schauspieler*innen ganz persönliche Reden auf die Nominierten. Das verleiht den vier Schauspiel-Kategorien nicht nur Authenzität, sondern macht die Verleihung ein ganzes Stück ergreifender. Obwohl die Fab Five den Abend in die Länge ziehen, fühlt es sich als Zuschauer nicht so an – ganz im Gegenteil.
Zum Publikumsliebling der Oscar-Nacht wird nebenbei ein Hund im Saal. Messi, der Border Collie, der in „Anatomie eines Falls“ Filmhund „Snoop“ spielt, wird schon in der Eröffnungsrede von Kimmel begrüßt und vom Saal bejubelt. Später sieht man ihn mit beiden Pfoten bei einer Auszeichnung klatschen.
Das Highlight des Oscar-Abends bleibt unprämiert
Den Show-Moment des Abends liefert Ryan Gosling als Ken, der nicht nur Hollywood-Stars wie Emma Stone oder Margot Robbie mitsingen lässt, sondern auch flankiert von zahllosen Tänzern und Rock-Legende Slash die Stimmung im Saal zum Explodieren bringt. Gosling scheint den Spaß seines Lebens zu haben, als er „I'm just Ken“ performt.
Der Oscar für den besten Song geht allerdings, nur wenige Minuten nach Goslings Performance an Billie Eilish und ihren Bruder Finneas O'Connell für „What was I made for?“, ebenfalls aus „Barbie“. Eilish war zwar die haushohe Favoritin auf den Preis, ihre Auszeichnung wirkte jedoch nur wenige Minuten nach Goslings Performance etwas verwunderlich.
Legt den Finger in die Wunde: Host Jimmy Kimmel
Wie bei seinen vorherigen Host-Auftritten bei den Academy Awards erlaubt sich Late-Night-Star Kimmel wieder den ein oder anderen grenzwertigen Scherz: Über „The Zone of Interest“ sagte er, dass „Nazifilme wie dieser in Deutschland als Rom-Coms gälten“ – was der Saal mit entnervtem Stöhnen quittiert, ist die deutsche Präsenz bei den Oscars doch so stark wie lange nicht.
Auch Robert Downey Jr., später als bester Nebendarsteller ausgezeichnet, bekommt von Kimmel sein Fett weg, als er über dessen Drogensucht feixt. Downey Jr. nimmt es mit Humor und freut sich über seinen ersten Oscar, den er für seine Rolle als verbitterter Oppenheimer-Widersacher Lewis Strauss erhält.
Doch Kimmel spricht zwischen den Gags auch die Themen an, die Filmfans weltweit beschäftigen. Die Nicht-Nominierung für Greta Gerwig für den Regie-Oscar, die wochenlang kontrovers diskutiert wurde, wird von Kimmel ebenso aufgegriffen wie der Autoren-Streik. Die Routine bei seinen vierten Oscars als Host merkt man Kimmel mittlerweile an, bei Gags wie ernsten Themen geht er mehr auf Risiko.
Spotlight für die Menschen hinter den Kulissen
Kimmel hält eine lange Ansprache über die Autor*innen, deren Streik Hollywood 2023 für lange Zeit lahm legte. So richtig spürbar wird dieser im Jahr 2025 werden, wenn dadurch bedingt deutlich weniger US-Filme bei den Academy Awards zu erwarten sind.
Im Anschluss an Kimmels Rede strömen zahlreiche Mitarbeiter, die sonst hinter den Kulissen bleiben, auf die Bühne: Vom LKW-Fahrer bis zum Techniker feiert der Saal die Menschen im Hintergrund mit einem auffallend langen Applaus. Später werden explizit die Stuntmen gewürdigt – ein mögliches Indiz dafür, dass, wie schon lange gefordert, bald eine entsprechende Oscar-Kategorie kommen könnte.