Wenn wir in den Spiegel gucken, sehen wir uns nie so, wie die anderen uns sehen, sondern eben spiegelverkehrt: Habe ich einen rechten Scheitel, hat mein Spiegelbild einen linken Scheitel. Und wenn ich die rechte Hand bewege, bewegt mein Spiegelbild seine linke Hand – trotzdem: Der Kopf bleibt oben und die Füße unten.
Das ist für uns so selbstverständlich, dass wir normalerweise über diese Merkwürdigkeit nicht weiter nachdenken. Sie tritt nur zutage, wenn wir sie so deutlich aussprechen. Aussprechen? Wenn diese Merkwürdigkeit nur auffällt, wenn wir sie formulieren, hat sie vielleicht etwas mit der Sprache zu tun. Tatsächlich handelt es sich um eine "sprachliche Täuschung". Sie beruht nämlich auf einem doppeldeutigen Umgang mit den Wörtern "links" und "rechts".
Der Spiegel vertauscht nichts
Klar ist: Wenn ich vor dem Spiegel stehe und mit meiner rechten Hand etwas mache, dann passiert das auch im Spiegel auf der rechten Seite – wohlgemerkt: des Spiegels! Was ich mit der linken Hand mache, passiert auf der linken Seite, was ich mit dem Kopf mache, passiert oben und was ich mit den Füßen mache, passiert unten. So gesehen, "vertauscht" der Spiegel erst mal gar nichts. Erst wenn wir uns unser imaginäres Gegenüber als eine reale Person vorstellen und uns in sie hinein versetzen, dann wird meine rechte Hand zu seiner scheinbaren "linken" Hand – auch wenn ich sie rechts im Spiegel sehe. Das meine ich mit Doppeldeutigkeit: Im einen Fall beziehen wir "rechts" und "links" auf die Perspektive des Betrachters, im anderen Fall auf die "innere Perspektive" der Person, die wir im Spiegel sehen.
Aber das funktioniert auch nur deshalb, weil wir einen einigermaßen symmetrischen Körperbau haben – also eine Längsachse. Unsere linke Körperseite ist ein ungefähres Spiegelbild der rechten – aber unsere obere Körperhälfte ist zum Glück kein Spiegelbild der unteren. Deshalb kann der Spiegel zwar scheinbar aus der rechten Hand eine virtuelle linke Hand des Spiegelbilds machen, aber er kann nicht einmal scheinbar oben und unten vertauschen.
Aber wie gesagt, der Spiegel "vertauscht" in dem Sinn weder "links" und "rechts" noch "oben" und "unten" – denn jeder Körperteil findet sich auf der entsprechenden Seite des Spiegels, mit einem Unterschied: Das Spiegelbild schaut in die entgegengesetzte Richtung. Wenn also der Spiegel etwas "vertauscht", dann schlicht und einfach "vorne" und "hinten".
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