Beispiel Alemannenschule Wutöschingen
Das "weiße Haus" ist ein Schulhaus der Wutöschinger Alemannenschule. Ein schlichtes, gerades, kastenförmiges Gebäude. Es wurde 2016 in dem südbadischen Dorf eröffnet – mit viel Glas, gemütlichem Mobiliar in Lila, Blau, Gelb und Grün, hellem Holz und Teppichböden. Man trägt Hausschuhe – und es gibt einen "Input" gibt. Keinen Schulhof, sondern einen "Marktplatz". Und anstelle von Klassenzimmern "Lernateliers", in denen nur geflüstert werden darf.
In dem hellen Marktplatz-Raum sind bunte Sofamöbel, Sitzkissen und Stehtische auf großer Fläche verteilt. Bodenlange transparente Gardinen hängen mitten im Raum. Davor liegt ein Junge schreibend auf dem Boden. In einer Ecke lehnt ein Lehrer mit ein paar Jugendlichen an einer Holztheke und Wortfetzen auf Englisch sind zu hören.
An dieser Schule ist vieles anders. Optisch, akustisch und in dem, was hier geschieht. Hektik, Anspannung oder Unruhe sind nicht zu spüren. Im oberen Stock ist es leise, im Erdgeschoß wird gesprochen. Alle lernen. An jeder Stelle des Gebäudes. Allein oder gemeinsam. Das ist für die Pädagogin Tanja Schoeler nur logisch. Machbar ist es durch die selbst geschaffene "Raumphilosophie" das Hauses: Die Schule habe Räume, die das Lernen ermöglichen.
Die Wutöschinger Alemannenschule ist eine Gemeinschaftsschule, die seit über zehn Jahren das selbstständige Lernen in den Mittelpunkt stellt und mit neuen Raumideen verknüpft – von der Grundschule an und seit Herbst 2019 auch bis zum Abitur. Dafür hat sie im Juni 2019 den Deutschen Schulpreis erhalten. Eine Anerkennung für den Mut, die Beharrlichkeit und den innovativen Schwung der gesamten 7.000-Einwohner-Gemeinde. Denn diese Schule ist auch ein erfolgreiches dörfliches Gemeinschaftsprojekt.
Architektur spiegelt pädagogisches Konzept
Eine neue Schule zu entwickeln bedeutet: Behörden beauftragen Planer und Architekten. Formale Auflagen müssen erfüllt werden, der Brandschutz, die Fluchtwege. Die Gesamtfläche steht fest. Diesen Abstimmungen aber muss eigentlich etwas viel Wichtigeres vorausgehen, da sind sich viele heute einig: Die sogenannte "Phase Null".
Dieser Begriff stammt aus dem Handbuch "Schulen planen und bauen 2.0", herausgegeben von der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft in Bonn. Dort heißt es:
"Ziel der Phase Null ist es, an der Schnittstelle von Pädagogik und Architektur ein tragfähiges inhaltliches und räumliches Konzept zu entwickeln. Das pädagogische Konzept wird präzisiert und an den baulichen Möglichkeiten gespiegelt (...)."
Architekturbüro bringt Schule, Verwaltung und Politik in einen Dialog
Das Berliner Architektur- und Planungsbüro "Baupiloten" spielt mit Visionen – etwa in Zusammenarbeit mit einer Grundschule in Mannheim: In 100 Minuten und 17 Schritten bringt es Schule, Verwaltung und Politik mit ihrem jeweiligen Bedarf in einen Dialog. Dies hat das Bundeswirtschaftsministerium 2018 mit einem Preis gewürdigt.
Raumkonzepte in gemischten Gruppen erarbeiten
Gemischte Gruppen sind das A und O des Konzepts: Das Bauamt, der Stadtrat, die Stadtgesellschaft, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern, das Sekretariat, die Hausmeister und die Fachleute für die Nachmittagsbetreuung loten ihre Bedürfnisse und Interessen aus. Eine Sanduhr läuft mit, alle sollen spontan und intuitiv durchspielen, was in welchem Raum stattfinden soll und welche Atmosphäre er dafür benötigt. Das wird diskutiert, sprich: auf Augenhöhe verhandelt.
Alle Beteiligten müssen dann ihren Arbeitsbereich weiterdenken. Die Architekten können schließlich ein detailliertes Raumprogramm entwerfen. Das Ganze dauert einige Wochen und kostet die Kommunen je nach Schulgröße mehrere Tausend Euro.
Finanzielle Ersparnisse und Lernerfolge
Kombiniert man die neuen Gebäude und Raumideen Schritt für Schritt mit modernen Lehrmethoden, erfüllt sich erst die sogenannte pädagogische Architektur. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: In Wutöschingen ergaben sich Ersparnisse in den Lernmittelkosten.
Und noch ein unerwarteter Nebeneffekt stellte sich ein: Die Wutöschinger Schülerinnen und Schüler erzielen beste Ergebnisse in den Vergleichsarbeiten.
Wünschenswert: beratendes Schulbauinstitut des Bundes
Den Lernhauserfolg hat der Schulberater Rainer Schweppe auch an anderen Orten schon beobachtet. Nun drückt er aufs Tempo: Er möchte nicht, dass neue Schulbauten auch neue Leistungsgefälle in Deutschland erzeugen und nur wohlhabende Kommunen auf der Gewinnerseite stehen. Sein Wunsch wäre ein neutrales beratendes und auch Richtung weisendes Schulbauinstitut des Bundes. Ein Institut, das allgemeine Hilfestellung gibt und dadurch die eigentliche Arbeit vor Ort entlastet.
Schule und Gemeinde sind in Wutöschingen eng vernetzt
Auf Dauer kann eine Schule nicht isoliert überleben, ist man im Wutöschinger Gemeinschaftsprojekt Alemannenschule überzeugt. Die sogenannten "Clubs" mit den naturwissenschaftlichen Fächern sowie Geschichte und Sozialkunde finden meist außerhalb statt: Der Heimatclub im Sitzungssaal des Rathauses, der Club "Lebensraum Fluss" an der Wutach, "Nutztiere und Nutzpflanzen" auf dem Bauernhof. Man geht in die Kirche und ins Seniorenheim.
Ehrenamtliche Lernhelferinnen und -helfer kommen in die Lernhäuser und die Schule hat ihr Gelände zur öffentlichen Gemeinde-Mediathek ausgeweitet; sie nennt dies "Lebensraum". Mit Orchesterproben im Probelokal des Musikvereins beginnt jeden Morgen der musische Frühstart, das neue Filmstudio der Schule ist im Rathaus untergebracht.
Wer Schülerinnen und Schülern etwas zutraut, sie respektiert und ihnen architektonisch wie pädagogisch Frei-Räume gibt, motiviert sie auch. Ein gut durchdachtes Gebäude legt den Grundstein dafür.
SWR 2019