Traditionelle Medien vs. Fake News, Hass und Verschwörungsmythen
Das Internet hat den öffentlichen Meinungsaustausch so stark verändert wie die Erfindung des Buchdrucks vor 500 Jahren, nur sehr viel schneller. Das klassische Telefon brauchte 75 Jahre, um 100 Millionen Nutzer*innen zu gewinnen, das Radio immerhin noch zwei Jahrzehnte. Bei Facebook waren es vier Jahre, Whatsapp und Instagram knackten die 100-Millionen-Marke nach zwei Jahren.
Traditionelle Medien haben ihre Rolle als Gatekeeper des Nachrichtenstroms verloren. Fake News, Hass und Verschwörungstheorien überschwemmen die Internetportale und seriöser Journalismus verliert sein Geschäftsmodell.
Wahrheitssuche geht verloren
Jay Rosen ist einflussreicher Journalist und Medienwissenschaftler der New York University. Für die USA diagnostizierte er am Ende der Trump-Präsidentschaft den Verlust der Wahrheitssuche als Grundlage öffentlicher Meinungsbildung. Stattdessen herrsche „the firehose of falsehood“, das Hochdruckverspritzen von Lügen wie durch einen Feuerwehrschlauch.
„Man überschwemmt die Medien mit Lügen, verbreitet sie schamlos. Es geht nicht darum, jemanden zu überzeugen, sondern darum, die Menschen zu verwirren, zu überwältigen und aus der Öffentlichkeit zu vertreiben. Die Quantität der Argumente ist viel wichtiger als ihre Qualität. Das ist “the firehose of falsehood”, erklärt Jay Rosen.
Emotionen schlagen Fakten
Eine permanente und schnelle Wiederholung der Lüge entfaltet politische und psychologische Macht. Wer etwas glauben machen will, findet auf den großen Internetplattformen das ideale Werkzeug dafür. Denn sie leben von möglichst vielen Klicks. Und eine dramatisierte Botschaft wird mehr geklickt als eine nüchterne oder gar differenzierte Nachricht – egal ob richtig oder falsch.
So fasst der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die These für die deutsche Öffentlichkeit zusammen. Die Netzutopie, nach der Meinungsfreiheit und Demokratie durch die Vielfalt der Stimmen im Internet quasi automatisch gestärkt würden, habe sich nicht verwirklicht.
„Mehr Information macht uns gar nicht automatisch mündiger, sondern mehr Information erhöht die Chancen effektiver Desinformationen, weil man in diesem umherwirbelnden Informationskonfetti dann auf das zurückgreift, was man vielleicht ohnehin glauben möchte und glauben will“, erklärt Bernhard Pörksen.
Soziale Medien befördern nicht generell abgeschottete Filterblasen
Vor zehn Jahren wurde das Phänomen häufig als Filterblase beschrieben, weil uns die Algorithmen der Internetportale immer mehr von dem in die Timeline schaufeln, auf das wir gerne klicken. Daher würden wir kaum noch mit konträren Tatsachen oder Widerspruch konfrontiert.
Aber schon als sich über 500 Internetforscher*innen aus aller Welt im Herbst 2016 an der Berliner Humboldt-Universität versammelten, stieß die Filterblasen-Theorie auf Skepsis – auch bei Christian Katzenbach. Inzwischen ist der Medienwissenschaftler Leiter eines Forschungsprogramms zum Thema digitale Gesellschaft.
Echokammern: soziale Netzwerke bringen Gleichgesinnte zusammen
„Es ist akademischer Konsens, dass Filterblasen durch soziale Medien nicht generell befördert werden. Wenn man Leute vergleicht, die viele soziale Medien benutzen, und Leute, die wenig soziale Medien benutzen, kommt immer das Ergebnis raus, dass Leute, die viele soziale Medien benutzen, vielfältigere Inhalte wahrnehmen, rezipieren als Leute, die wenig oder gar keine sozialen Medien nutzen. Und das widerspricht schon zentral der Filterblasen-These“, so Christian Katzenbach.
Wie viele Fachleute möchte Katzenbach lieber von Echokammern sprechen: Soziale Netzwerke bringen Gleichgesinnte zusammen, die sich dann am Lagerfeuer ihrer gemeinsamen Überzeugungen gegenseitig bestätigen. Abgeschottete Blasen seien das aber nicht.
SWR 2021