Gemeinsame Schnittmenge

Warum Musik so viel mit Mathematik zu tun hat

Stand
Autor/in
Jane Höck
Onlinefassung
Jennifer Silaghiu, Dominic Konrad

Musik und Mathematik werden oft in einem Atemzug genannt. Denn, so die Begründung, im Kern sei Musik nichts anderes als Mathematik. Ist das nicht ein bisschen zu kurz gegriffen? Zwar haben Mathematik und Musik eine gemeinsame Schnittmenge, aber es gibt fern aller Theorie auch fundamentale Unterschiede.

Pythagoras entdeckte Zahlenverhältnisse in der Musik

Am Anfang – noch vor dem Wort – ist die Musik. In der Musik wirkt als ordnendes Prinzip die Mathematik. Das entdeckte schon in der Antike der Grieche Pythagoras. Mithilfe eines einfachen Monochords analysierte der Mathematiker und Philosoph Zahlenverhältnisse in der Musik.

Er entdeckte dabei die Schwingungsverhältnisse der harmonischen Intervalle, erklärt Neurologe und Musiker Eckart Altenmüller. So kam er bei Oktave, Quinte und Quarte auf ein 1:2-, 2:3- und 3:4-Verhältnis, die die Saiten, die in bestimmten Intervallen schwingen, haben. „Das war im Grunde eine Theorie der Musik“, so der Experte.

Eckart Altenmüller forscht seit vielen Jahren zum Thema Hirn und Musik. Für Pythagoras, sagt er, machen diese besonderen Proportionsverhältnisse das Wesen wahrhaft schöner Musik aus. 

Der Neurologe und Experte für Musikermedizin und Konzert-Musiker an der Hochschule für Musik, Theater und Medien (HMTMH), Professor Eckart Altenmüller
Prof. Eckart Altenmüller ist Arzt und Musiker und einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Neurophysiologie und Neuropsychologie von Musikern.

Die gedachte Schnittmenge wird kleiner

So entstand der Eindruck, die Grundlage der Musik sei die Mathematik. Allerdings änderte sich das mit der Aufklärung massiv. Plötzlich wurde es interessant, dass Musik Affekte ausdrückt, erklärt Altenmüller.

Die seit der Antike gedachte Schnittmenge wird kleiner. Musik, die besonders berührt – das ist längst klar – ist oft sogar diejenige, die die harmonischen Strukturen durchbricht und eine überraschende Wendung bringt.

Überlappungen bei der Verarbeitung im Gehirn

Musik auf Mathe allein zu reduzieren, geht nicht auf. Und was passiert im Kopf? Werden Musik und Mathematik da überhaupt im gleichen Zentrum verarbeitet? 

Dass es so nicht ist, hat man in den letzten zehn Jahren herausgefunden, sagt Eckart Altenmüller: „Es ist so (...), dass die Verarbeitung von Musik ein so genanntes weit gespanntes Netzwerk umfasst: beide Hirnhälften, die vorderen und hinteren Anteile. In der Tat umfasst auch Mathematik ein weit gespanntes Netzwerk, da gibt es also schon Überlappungspunkte.“

SWR2 Essay Spiel der Synapsen – Kann die Neurowissenschaft die Wirkung von Musik erklären?

Wenn wir Musik hören, ereignen sich kaum vorstellbare Aktivitäten in unserem Kopf. Blitzschnelle Prozesse laufen ab, die sich zu einem Ganzen, einem bewussten Erlebnis formen. Wir verknüpfen Bedeutung mit Erinnerung und Gefühlen, aber die Arbeit des Gehirns bleibt uns verborgen. Theorien und Spekulationen begleiten dieses Rätsel seit Jahrhunderten. Wie ist das Gehirn organisiert, wie kann es Gedanken, Gefühle und ein Ich-Bewusstsein hervorbringen? Durch moderne bildgebende Verfahren wurde es möglich, die komplizierten Vorgänge des Musizierens und Musikhörens im Gehirn näher zu beschreiben.

SWR2 Essay SWR2

Mathematik und Musik haben komplexe Strukturen

Mathematik zu treiben heißt, komplexe Probleme zu lösen mithilfe komplexer Strukturen. Auch in der Musik tauchen komplexe Strukturen auf, die man durchdringen muss, verstehen muss.

Valentin Blomer ist Mathematik-Professor und studierter Konzertpianist. In der Praxis fallen ihm vor allem erst einmal Unterschiede beider Disziplinen auf. Als Interpret klassischer Musik tritt er mit anderen Musikern und mit dem Publikum in einen intensiven Dialog. Seine Arbeit als Mathematiker ist einsam.

„Es geht darum, was die Welt der Mathematik im Innersten zusammenhält und die Untersuchung dieser Strukturen ist der Zweck der Mathematik“, erklärt Blomer. „In der Musik sind die Strukturen der architektonische Unterbau. In Wahrheit geht es um eine künstlerische Aussage. Da spielen Emotionen eine Rolle. Diese emotionale Komponente haben wir in der Mathematik eigentlich nicht.“

Es gibt auch Schönheit in der Mathematik

Und doch, das wird im Gespräch mit dem Bonner Mathematiker klar, wohnt den Zahlen und Formeln auch eine besondere Ästhetik inne. Damit haben viele Komponisten von Bach bis Ligeti in ihrer Musik auch immer wieder gespielt: „Mathematik ist eine Kunst. Mathematik hat auch sehr viel Schönheit.“

Musik im Mathe-Unterreicht

Im Mathe-Unterricht von Grundschullehrerin Helena Vasikaridis entfalten Zahlen ihr musikalisches Potential. Sie arbeite mit Klangaufgaben, und dem Lernen der Zahlenreihen mit Mathe-Liedern. Es erhöhe einfach die Merkfähigkeit, erklärt die Pädagogin. Zur Stillarbeit nutzt die Lehrerin außerdem gern ruhige, auch klassische Musik. 

„Eine sanfte, entspannende Musik, die nicht so viele aufregende Harmoniewendungen hat, kann die Konzentration fördern“, meint auch Neurologe Eckart Altenmüller. „Musik reduziert dann Stress und verbessert die Aufmerksamkeit vor allem für nicht-sprachliche Aufgaben, auch dadurch, dass sie eine leichte Durchblutung der rechten Scheitelregion fördert.“

Musik kann Konzentration fördern

Also genau in der Hirnregion, in der Mathematik hauptsächlich verarbeitet wird. Viele Schulen experimentieren inzwischen mit Mathe und Musik. Das stößt auf großen Anklang und es gibt auch viele Studien dazu. Doch es sei nicht die Musik, die mathematisch intelligenter mache, bremst Altenmüller die Erwartungen: „Es ist die allgemeine Stimmung und Konzentrationsfähigkeit, die durch diese musikalische Intervention verbessert wird.“

Valentin Blomer interpretiert das so: „Musik ist ein Vehikel für Enthusiasmus und vielleicht kann man mit der Musik Leute einfach mehr begeistern.“

Musikmarkt: Buch-Tipp Manfred Spitzer: Das musikalische Gehirn

Musik kann uns beruhigen, sie kann auf unsere Tränendrüse drücken oder unser Tanzbein zum Schwingen bringen. Musik macht ganz schön viel mit uns. Aber wie funktioniert das denn überhaupt, das Musikhören? Dieser Frage ist der bekannte Hirnforscher Manfred Spitzer in seinem Buch „Das musikalische Gehirn“ nachgegangen.

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