Tetzlaffs Entscheidung nicht mehr in den USA aufzutreten, machte international Schlagzeilen. Doch bringt so ein Boykott überhaupt etwas?
Eine selbstgerechte Pose?
„Das wird den Ami aber wurmen.“ So lautete der Kommentar eines Münchner Musikkritikers, als bekannt wurde, dass der Geiger Christian Tetzlaff aus Protest gegen die Politik von Donald Trump seine geplante USA-Tournee abgesagt hat.
Ich fühlte mich wie ein Kind, das einen Horrorfilm sieht.
Dieser sarkastische Kritiker ist übrigens kein konservativer Knochen, eher ein linksliberaler Feingeist. Hat er Recht? Ist eine Entscheidung wie die von Tetzlaff sinnlos, ist es vielleicht bloß selbstgerechte Pose, als klassischer Musiker das Trump-Amerika zu boykottieren?
Ein Konzert in Deutschland: Tetzlaff spielt Mozart
Eine Ameise würgt einen Elefanten
Einerseits ja: sinnlos. Nämlich dann, wenn man meint, es fiele messbar ins Gewicht. Es gibt den Witz von einem Elefanten, der in einen Ameisenhaufen trampelt: Eine Ameise schafft es bis auf den Rücken des Elefanten und krabbelt ihm in den Nacken, da rufen die anderen Ameisen von unten: „Los, Charly, würg ihn!“
Ähnlich groß dürfte der Eindruck sein, den die Absage eines klassischen Musikers auf einen Präsidenten-Bully macht, der bekannt dafür ist, dass er niemals ein Buch liest. Andererseits ist auch die Klassiknische, so gering ihr politisches Gewicht sein mag, eine heftige Kampfzone.
Solidarität mit den amerikanischen Künstlern
Trump hat direkt zu Beginn seiner neuen Präsidentschaft auf das Washingtoner Kennedy-Center zugegriffen, dort den fanatischen Kulturkämpfer Richard Grenell als neuen Interimsdirektor installiert: Man will den Klassiktempel von allen linken oder sogenannten woken Impulsen reinigen. Die berühmte Sopranistin Renee Fleming hat sich aus Protest gegen diese rechte Cancel culture als Beraterin zurückgezogen.

Eine Entscheidung wie die von Tetzlaff, derzeit nicht in den USA aufzutreten, kann man also auch als Akt der Solidarität mit den amerikanischen Künstlern verstehen, die von Trump zu Feinden des Volkes erklärt werden.
Keinen Penny Steuern für das neue Amerika
Außerdem gibt es einen ganz konkreten Aspekt: Tetzlaff verwies auf die Steuern, die von seinen Gagen an den amerikanischen Staat abgehen. Auch wenn es für die dortige Milliardärs-Oligarchie nur Peanuts sein mögen, will Tetzlaff das, was der Welt von diesem neuen Amerika droht, mit keinem Penny unterstützen.
Und nicht zuletzt mag es auch der eigenen Psycho-Hygiene dienen: keine Teilnahme an irgendeiner Normalitäts-Simulation. Auch das ist legitim. Im Übrigen sind die Kommentare amerikanischer Zeitungsleser in sozialen Medien zu der Tetzlaff-Nachricht überwiegend positiv.
Lisa Batiashvili glaubt noch an das gute Amerika
Klar, die New York Times-Leser sind das Gegenteil von Trump-Klientel. Aber sie bewerten Tetzlaffs Entscheidung als Zuspruch zu ihrer eigenen Gegenwehr. Auch diese Menschen sind, lieber Herr Musikkritiker, „der Ami“. Im Kennedy-Center wurde übrigens gerade der Vizepräsident J. D. Vance, der dort aufkreuzte, vom Publikum ausgebuht.
Auch sowas zeigt, dass die USA natürlich längst nicht an den Autoritarismus verloren sind. Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili sagte kürzlich im Interview mit dem Musikmagazin VAN, sie glaube, dass es Amerika gelingen werde, sich das Gute wieder zurückzuholen.
Deshalb lehnt sie für sich einen USA-Boykott ab. Sie beharrt auf dem Unterschied zwischen den abgedrifteten USA und absoluten Diktaturen wie Russland oder China, wo Tetzlaff natürlich auch nicht auftritt.
SWR2 Zur Person Die Geigerin Lisa Batiashvili
Wenn Lisa Batiashvili gerade nicht auf den großen Bühnen der Welt unterwegs ist, wirbt die zweifache Mutter für Europa, warnt vor Putin und kämpft für die Kultur. Anfang des Jahres hat sie eine Stiftung für junge georgische Musikerinnen und Musiker gegründet.
Der Corona-Stillstand hat die 42-jährige Wahl-Münchnerin zu ihrem jüngsten Album „City Lights“ inspiriert: eine musikalische Reise in Städte, die in ihrer Erinnerung einen besonderen Platz einnehmen: Klassik, Jazz und Pop mit Stars wie Katie Melua und Till Brönner.
Nicht die Hoffnung verlieren
Ich finde, beide Standpunkte verdienen Respekt: Batiashvilis und Tetzlaffs. Denn beide stehen ja auf der gleichen Seite von Demokratie und Freiheit. Und, auch das ist leider wahr, weder die eine noch die andere Entscheidung wird den Gang der Welt sonderlich beeinflussen, auch zwei, drei oder mehr Charlys werden den großen Zertrampler nicht erwürgen können.
Aber darum geht es vielleicht auch gar nicht. Sondern eher darum, dass Millionen Ameisen nicht die Hoffnung verlieren. Da kann auch eine Ameise den anderen Mut machen und ihnen zurufen: Wir sind noch da, und wir leben! Und ganz bestimmt: Irgendwann kippen auch orange leuchtende Horror-Elefanten um, oder platzen vor Hass.
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