Flamenco und Fahrrad-Polka

Musik und Bewegung: Schlagen und Treten in der Musik

Stand
Autor/in
Jane Höck
Onlinefassung
Dominic Konrad

Das Erste, was ein Embryo im Mutterleib hört, ist der Schlag des Herzens. Die ersten Aktionen, die er durchführt: mit den Fäusten trommeln und mit den Füßchen an die Bauchdecke treten. In der Musik entlocken Schlagwerker unterschiedlichen Percussion-Instrumenten wunderbare Töne. Beim Treten wird’s mager. Dass Künstler ihr Instrument schlagen und treten, kommt noch seltener vor.

Im Flamenco werden Füße zum Schlagwerk

Ania Losinger brennt für den Flamenco. Denn hier kann sie beides sein: Tänzerin und Musikerin. Die Füße bilden das originelle Schlagwerk. Aber die Schweizerin möchte mehr. Sie will im Tanz echte Musik erschaffen. Mit Füßen, die den Boden als Trommel nutzen, ihn zärtlich streicheln, energisch treten und dabei virtuosen Klang erzeugen. 

Flamenco heißt mit den Füßen auf den Boden schlagen und Musik machen.

„Ich tanze auf einem Instrument, das ich selber entwickelt habe mit einem Instrumentenbauer“, erklärt Ania Losinger, dieses Instrument heißt Xala. Es sieht aus wie ein Floß und ich stehe darauf mit Flamenco-Schuhen und Menschen hohen Stöcken.“

Ania Losinger – groß und schlank – scheint auf ihrem Instrument zu schweben. Sie spielt und tanzt mit fließenden Bewegungen. Die Musik entsteht, indem sie mit den Flamenco-Schuhen auf die verschiedenen Klangflächen aus Holz und Metall tritt und sie immer mal wieder mit zwei langen Holzstäben anschlägt.

Flamenco-Tänzerin in Sevilla tanzt auf einem Brett, im Hintergrund Zuschauer und ein Musiker an einer Cajón.
Für Flamenco-Tänzerinnen bilden die Füße ein klassisches Schlagwerk.

Zwischen Trommelsounds und Schnipstechniken

Die studierte Perkussionistin Vivi Vassileva schlägt mit bis zu vier Schlegeln und in rasantem Tempo auf die Klangstäbe von Marimba und Vibraphon und holt selbst aus Töpfen oder einem Wasserglas noch tolle Sounds raus. Vivis Liebe gilt aber nach wie vor den Handtrommeln, die sie schon als Kind in der bulgarischen Heimat ihrer Eltern entdeckt. 

„Man kann mit den Fingern oder den Nägeln spielen“, erklärt die Perkussionistin. „Es gibt diese spezielle Schnipstechnik, die ich wirklich cool finde, mit der man so viel machen kann. Man kann improvisieren, ohne viel nachzudenken, so habe ich meine Liebe zum Schlagzeug gefunden: mit Handtrommeln und am Strand mit Leuten, die mir was beigebracht haben.“

Die Füße spielen beim Schlagwerk keine Rolle, könnte man meinen. Aber es gibt Ausnahmen. Im Schlagzeug wird die Bass-Drum mit der Fußmaschine bedient und beim Vibraphon gibt es – ähnlich wie beim Klavier – ein Fuß-Pedal.

Pedale sorgen für anhaltende Töne

„Wenn ich Klavier spiele, habe ich ja das rechte Pedal“, erklärt der Bonner Konzertpianist und Mathematiker Valentin Blomer. „Man denkt immer, das ist dafür da, damit der Ton länger klingt. Das passiert auch. Aber das Eigentliche, was passiert, ist, dass sich die Dämpfer heben und dadurch sehr viel mehr Obertöne mitschwingen. Das heißt der Ton wird reicher, wird voller, der klingt auch tatsächlich lauter.

Man müsse das Pedal sehr klug einsetzen, um den Tönen Glanz zu geben und wirklich schöne Töne zu erzeugen, sagt Blomer. „Und deswegen sind E-Pianos immer inferior in ihren Klangeigenschaften, weil die echten Obertonschwingungen nicht wirklich genau synthetisch produziert werden können.“

Queen - Bicycle Race (Official Lyric Video)

Strauss verarbeitet das Fahrrad in einer Polka

Beim Fahrrad hat das Pedal naturgemäß eine andere Funktion. Mit den Füßen, die kraftvoll in die Pedale treten, nimmt die Fahrt Tempo auf. Gustav Mahler ist ein leidenschaftlicher, wilder Fahrer. Der französische Komponist Ernest Chausson rauscht mit dem Rad in eine Mauer und ist auf der Stelle tot. Edward Elgar hingegen tritt vorsichtig in die Pedale seines geliebten Mr. Phoebus. 

Auch in den Konzertsaal hält das neuartige Zweirad im 19. Jahrhundert Einzug. Johann Strauss etwa komponiert zum Ritt auf dem Rad eine „Velozipeden-Polka“. Berühmt sind auch die „Velozipeden-Bälle“: Es gibt Kunstfahrer und auf dem Rad getanzte Quadrillen. Nach einem kurzen Boom verschwindet das Fahrrad aber wieder von der Bühne.

Vélocipède, Op. 259: Velocipede, Polka schnell, Op. 259

Wenn man die Flocken mit der Faust bearbeiten muss

Nahezu ausgestorben ist auch ein Berufsstand, in dem mit Faustschlägen und Fußtritten himmlische Musik gemacht wird. Willkommen über den Dächern der flämischen Kleinstadt Mechelen, auf dem Turm der Kathedrale Sankt Rombout. Hier in luftiger Höhe ist der Arbeitsplatz der Stadt-Glockenspieler. Heute spielt Koen Cosaert, der Direktor der Königlichen Glockenspielschule Mechelen höchstpersönlich.

„Es ist eine Freiluft-Orgel, die nicht mit Pfeifen funktioniert, sondern mit kleinen und großen Glocken“, erklärt Cosaert, „ein riesengroßes Instrument, das aussieht wie ein großes Orgelklavier mit Manual und Pedal.“

Glocken hängen im Turm der Kathedrale von Mechelen
Das Glockenspiel in der Kathedrale von Mechelen wird von den Spielenden mit Faustschlägen und Tritten bedient.

Die Tasten, grobe hölzerne Hebel, sind über Zugdrähte mit den schweren Glockenklöppeln verbunden und werden kraftvoll mit der Faust angeschlagen bzw. mit dem Fuß getreten. Für zarte Töne reicht der kleine Finger. Cosaert lehnt sich zurück und holt tief Luft: „Im Sommer sind wir tatsächlich Schweiß gebadet. Aber macht richtig Spaß.“

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