Musik und Bewegung: Fliegen, Flattern, Schwirren

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Autor/in
Jane Höck
Onlinefassung
Dominic Konrad

Fliegen ist ein uralter Menschheitstraum. Lange bevor „tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten“ unterm Himmel kreisen, ist der Traum vom Fliegen in der Musik Thema. Allein zum antiken Ikarus-Mythos gibt es unzählige Vertonungen. Vorbild sind die Vögel. Der Blick durchs Fernrohr ins All lässt Menschen dann auch vom Flug zum Mond träumen.

Der Traum von Fliegen wird beim Trachtentanz erlebbar

Einigen wachsen Flügel, weil sie sich trauen, loszulassen. Davon singt der Kabarettist und Liedermacher Thomas Pigor. Im Kettenkarussell bewirkt die Fliehkraft, dass Menschen sich für den Augenblick der Erde enthoben fühlen. Der Wind rauscht in den Ohren, es kribbelt im Bauch, wenn das Karussell Fahrt aufnimmt und die Sitze an den langen Ketten nach außen streben, bis sie waagerecht durch die Luft fliegen.

Mit Fliehkraft arbeitet auch ein Volkstanz aus Ostwestfalen-Lippe. Der „Flieger“ lässt die Tänzerinnen der Trachtengilde Schwalenberg regelmäßig abheben. Jacqueline und Tanzpartner André machen vor, wie es geht.

Mit Schwung gehen zwei Paare aufeinander zu. Sie umfassen sich so, dass die Arme eine Achse bilden. Beim Laufen beginnt sich die Gruppe zu drehen. Schneller und schneller, bis die Mädels, die außen laufen, abheben. Man müsse genug Schwung nehmen, dass die Damen auch waagerecht fliegen, verrät André.

Dem Publikum zaubert der Flieger ein Lächeln ins Gesicht, den Männern Schweißperlen auf die Stirn. Für die Mädels gibt’s ordentlich Adrenalin. 

Statuen des Dädalos und des Ikarus im kretischen Agia Galini am Golf von Messara.
Nicht zu nah an die Sonne solle er fliegen, warnt Ikarus' Vater Dädalos den Jungen, als er sich mit seinen Flügeln in die Lüfte erhebt. Doch als Ikarus der Sonne zu nahe kommt, schmilzt das Wachs, das seine Schwingen zusammenhält.

Fliegende Helden: Nils Holgersson und Ikarus

Der Junge, der hier abhebt, heißt Nils Holgersson und ist eine Erfindung von Selma Lagerlöff. Musikalische Flügel verleihen ihm im gleichnamigen Orchestermärchen die Duisburger Philharmoniker .

In der griechischen Mythologie sind Dädalus und Ikarus die ersten fliegenden Menschen. Mit Flügeln aus Federn und Wachs entfliehen sie ihrem Gefängnis auf Kreta. Aber Ikarus fliegt zu nah an die Sonne heran. Das Wachs schmilzt. Er stürzt ins Meer. Dichter und Komponisten machen ihn unsterblich.

Erst Jahrtausende nach dem Sturz des Ikarus wird der Traum vom Fliegen wahr. Zu Zeiten von Nils Holgersson kreisen schon erste Kisten aus Blech heulend und knatternd am Himmel. Leise brummend hingegen und silbrig glänzend zieht der Zeppelin seine Bahnen.

„Frau Luna“ und Traum vom Flug zum Mond

Zu einem Flug in der Hindenburg, dem größten Luftschiff aller Zeiten, lädt Minimalist Steve Reich mit der Video-Oper „Three Tales“ ein. Man nimmt Platz und hört im Vorbeiflug die Glocken des Kölner Doms und eine Passagierin von einst, die sich wie im Kino fühlt.

Mit dem Absturz der Hindenburg 1937 geht die ruhmreiche Ära der Luftschiffe zu Ende. Doch längst haben sich neue Utopien in den Köpfen von Dichtern und Komponisten eingenistet. Eine Reise zum Mond! Davon träumen schon Joseph Haydn, Jaques Offenbach und 1899 dann auch Paul Lincke in seiner Operette „Frau Luna“.

Auf dem Mond ist bestimmt alles viel besser, glauben der Berliner Mechaniker Fritz Steppke und seine Freunde. Keine nervige Vermieterin, keine Wohnungen zu Mondscheintarifen. Also, rein in den selbst gebauten Express-Ballon und nichts wie weg.

Flugmaschinen zwischen Walkürenritt und Tschitti Tschitti Bäng Bäng

Zum Mond und noch weiter weg ins All hat es die Menschheit längst geschafft. Fliegen bedeutet Freiheit. Aber Flugzeuge und Drohnen bringen auch den Tod. Im Film „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola sind es Kampfhubschrauber, die von Wagners „Walkürenritt“ untermalt, brutal ein Dorf in Vietnam angreifen.

Film und Musik begleiten das Fliegen bis heute. Dabei sind sie der Realität gern einen Schritt voraus. Schönes Beispiel „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ von 1968. „Das ist das Auto, das fliegen und schwimmen kann, das mitdenkt, wie Künstliche Intelligenz schon“, sagt Dramaturgin Elisabeth Wirtz, die 2024 bei der Neuauflage des Musicals in Detmold dabei ist. Stolz zeigt sie auf das Wunderauto in Grün. „Eine richtige alte Kutsche. Mit Kühlergrill und Froschaugen.“

Ein fliegendes E-Auto mit KI

Stark! Aber wie geht das mit dem Fliegen? Das Auto wird ja wohl kaum unter der Decke des Theaters kreisen. 

„Wir arbeiten mit Illusion, sonst würden wir das nicht hinbekommen“, verrät Wirtz. Darum kümmern sich Jule Dorn von Rossum und Technik-Zauberer Timo Oberkrome, der erklärt: „Wir haben das Auto auf einen ferngesteuerten Wagen gesetzt, der mit Akkus läuft und haben uns Gedanken gemacht, wie man das Fliegen simulieren kann. Das funktioniert über ein Hubpodest und ja, dann gibt’s ein paar Tricks.“

Seine Illusionisten-Partnerin Jule Dorn von Rossum ergänzt: „Bei den Flügeln ist es so, dass die Darsteller die selber auslösen und da ist noch ein bisschen Licht integriert, dass sie schön reflektieren und die Illusion noch mal mehr unterstützen, dass das Auto wirklich fliegt.“ Ein E-Auto mit KI also. Völlig up to date!

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