Hinsichtlich dramatischen Ausdrucks, Temperament und Expressivität gehört Agnes Baltsa seit den 70er-Jahren zu den Besten in ihrem Fach. Mit Hosenrollen machte sie in ihren Anfängen auf sich aufmerksam, ihre Virtuosität konnte sie in Rossini-Partien ausloten. Als mit den Jahren die Durchschlagskraft wuchs, machte die Mezzosopranistin mit Partien von Verdi und französischen Opern Furore – vor allem mit Bizets Carmen und der Eboli im „Don Carlos“. Am 19.11.2024 wurde sie 80 Jahre alt.
Prädestiniert für die Hosenrollen
Im Alter von 23 Jahren gab sie ihr Debüt, als Cherubino in Mozarts „Hochzeit des Figaro“ in Frankfurt. Es war nicht die erste und einzige Hosenrolle, die Agnes Baltsa fortan große Erfolge eintragen sollte. Mit ihrer schlanken, fast schon hageren, androgynen Erscheinung und gesegnet mit stimmlicher Agilität war die Mezzosopranistin prädestiniert für Figuren in Kniebundhosen und Schnallenschuhen.
Geboren wurde sie auf der griechischen Insel Levkas. Ihre Liebe für die klassische Musik entdeckte Baltsa sehr früh: Als Sechsjährige erhielt sie Klavierunterricht, ihr Gesangsstudium nahm sie Ende der 1950er Jahre in Athen auf. 1964 gewann sie den George Enescu Wettbewerb in Bukarest sowie ein Callas Stipendium, das ihr weitere Studien in München ermöglichte, von wo aus sie ihre Laufbahn in Wien und Berlin fortsetzte.
Die Deutsche Oper Berlin diente ihr als Sprungbrett für ihre internationale Karriere an alle bedeutenden Bühnen der Welt. An der Wiener Staatsoper debütierte Agnes Baltsa 1970 höchst erfolgreich als jüngster Octavian mit nur 23 Jahren in der Geschichte des Hauses.
Aber etwas überschattete ihre steile Karriere, wie sie in einem der wenigen und seltenen Interviews sagte:
Karjan als Mentor für Baltsa
Umso bedeutsamer war für Agnes Baltsa ihre Begegnung mit Herbert von Karajan, der ihr vom Pult aus als Dirigent, aber auch als Mentor Sicherheit gab.
„Er liebt seine Sänger am Abend wie kein anderer, er trägt uns auf Händen, er trägt uns auf einem Teppich, er verbreitet unter unseren Füßen einen Teppich aus Tönen wie kein Anderer. Er gibt mir absolute Sicherheit. [...] Er beflügelt mich, er holt von mir das Beste raus. Das ist sein Geheimnis oder seine Genialität.“ - Agnes Baltsa
Berühmtes Umfeld
Als eine ihrer wichtigsten Partien setzte Baltsa unter Herbert von Karajan als Eboli Maßstäbe in Verdis „Don Carlos“. In der Gesamtaufnahme kommen die große Leuchtkraft ihrer Stimme, ihre Agilität, ihre imposante Durchschlagskraft bei schlanker Stimmführung bestens zur Geltung.
Zudem versammelte sich ihren Ansprüchen gemäß um sie herum mit weiteren Sängerstars wie Mirella Freni, Nicolai Ghiaurov, José Carreras und Piero Cappuccilli ein einmaliges, grandioses Ensemble.
Callas als großes Vorbild
Für das Publikum wurden diese Ängste weder hör- noch sichtbar. Vielmehr erlebte es Agnes Baltsa als eine Sängerdarstellerin, die wie ihr großes Vorbild Maria Callas ihre Figuren mitreißend durchlebte, als Rossini- und Donizetti-Interpretin mit schlafwandlerischer Sicherheit Koloraturen meisterte und als Carmen leidenschaftlich glühte.
Mit 73 noch klar, kräftig und präzise
Entgegen ihrer Annahme, dass sie wohl nicht sehr alt werden würde, wie sie einmal in einem Interview mutmaßte, setzte sich Agnes Baltsas Karriere bis ins hohe Alter fort. Zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1992 sang sie in Barcelona die von Mikis Theodorakis komponierte Olympische Hymne „Hellenismus“ zum Einmarsch der Olympischen Fahne.
Mit 73 Jahren gestaltete sie an der Wiener Staatsoper als Klytämnestra noch eine bemerkenswerte Altersrolle. Und das – so attestierten ihr Kritiker – mit einer Klarheit, Kraft, Fülle und Präzision in ihrer Stimme, die unvergleichlich und einmalig ist. Am 19.11.2024 wurde die Sängerin 80 Jahre alt.
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